Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 382

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-2/seite/382

mehr von dem Platz einräumen, der ihm von Rechts wegen gebührt. Durch die Hervorhebung des republikanischen Charakters der Sozialdemokratie gewinnen wir vor allem eine Gelegenheit mehr, unsere prinzipielle Gegnerschaft als einer Klassenpartei des Proletariats zu dem vereinigten Lager sämtlicher bürgerlicher Parteien in greifbarer, populärer Weise zu illustrieren. Der erschreckende Niedergang des bürgerlichen Liberalismus in Deutschland äußert sich ja unter anderem besonders drastisch in dem Byzantinismus vor der Monarchie, in dem das liberale Bürgertum noch das konservative Junkertum um einige Nasenlängen schlägt.

Doch nicht genug. Die ganze Lage der inneren wie der äußeren Politik Deutschlands in den letzten Jahren weist auf die Monarchie als den Brennpunkt oder zum mindesten die äußere, sichtbare Spitze der herrschenden Reaktion hin. Die halbabsolutistische Monarchie mit dem persönlichen Regiment bildet zweifellos seit einem Vierteljahrhundert und mit jedem Jahre mehr den Stützpunkt des Militarismus, die treibende Kraft der Flottenpolitik, den leitenden Geist der weltpolitischen Abenteuer, wie sie den Hort des Junkertums in Preußen und das Bollwerk der Vorherrschaft der politischen Rückständigkeit Preußens im ganzen Reiche bildet, sie ist endlich sozusagen der persönliche geschworene Feind der Arbeiterklasse und der Sozialdemokratie. Die Losung der Republik ist also in Deutschland heute unendlich mehr als der Ausdruck eines schönen Traumes vom demokratischen ‚Volksstaat‘ oder eines in den Wolken schwebenden politischen Doktrinarismus, sie ist ein praktischer Kriegsruf gegen Militarismus, Marinismus, Kolonialpolitik, Weltpolitik, Junkerherrschaft, Verpreußung Deutschlands, sie ist nur eine Konsequenz und drastische Zusammenfassung unseres täglichen Kampfes gegen alle diese Teilerscheinungen der herrschenden Reaktion. Insbesondere aber weisen nach derselben Richtung gerade die Vorgänge der jüngsten Zeit: Es sind dies die absolutistischen Staatsstreichdrohungen des Junkertums im Reichstag[1] und die frechen Attacken des Reichskanzlers gegen das Reichstagswahlrecht im preußischen Landtag[2] sowie die Einlösung des ‚königlichen Wortes‘ in Fragen des preußischen Wahlrechtes durch die Bethmannsche Reformvorlage.“[3]

Ich kann diese „völlig neue Agitation“ um so ruhigeren Gewissens hierher setzen, als sie bereits im Druck erschienen ist, ohne daß die Partei den geringsten Schaden an Leib und Seele genommen hätte. Ich habe

Nächste Seite »



[1] Am 29. Januar 1910 hatte in der Reidtstagsdebatte über den Militäretat der Konservative Elard von Oldenburg-Januschau eine direkte Aufforderung zum Verfassungsbruch an den Kaiser gerichtet. Gegen dieses provokatorische Auftreten kam es in zahlreichen Städten Deutschlands zu Protestversammlungen.

[2] Am 10. Februar 1910 hatte Theobald von Bethmann Hollweg im preußischen Abgeordnetenhaus in scharfen Angriffen die Wahlrechtsreform als eine Frage von untergeordneter Bedeutung bezeichnet, die von der Sozialdemokratie künstlich aufgebauscht worden sei. Die daraufhin einsetzenden Massendemonstrationen und Aktionen, die das ganze Jahr über andauerten, kennzeichneten das Heranreifen einer politischen Krise in Deutschland.

[3] S. 301–303. Hervorhebungen nur hier.