Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 355

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als ein wunderwirkendes Allheilmittel zur Erringung aller Siege mit einem Schlage, etwa nach anarchistischem Rezept, anpreisen würde. Vorläufig handelt es sich aber um die Tatsache, daß der Massenstreik jedenfalls ein vorzügliches Mittel war, dem belgischen Proletariat überhaupt den Zutritt zum Parlament und gleich bei den ersten Wahlen die Eroberung eines Fünftels aller Mandate zu ermöglichen, und daß bei dieser Wahlrechtsbewegung wirtschaftliche Kämpfe die hervorragendste Rolle gespielt, den Ausgangspunkt und die Basis des politischen Massenstreiks gebildet haben.

Aber auch unsere eigenen bisherigen Erfahrungen widersprechen der Annahme des Genossen Kautsky. Wir haben in diesem Augenblick den großen Kampf im Baugewerbe.[1] Nach dem obigen Schema müßten wir diesen wirtschaftlichen Kampf von unserer Wahlrechtsbewegung streng scheiden, und am liebsten hätte ja dieser Kampf als schädlich im Interesse der Wahlrechtsbewegung womöglich vermieden werden sollen. In Wirklichkeit läßt sich jene Scheidung gar nicht durchführen, und sie wäre so ziemlich das Törichteste, was wir beginnen könnten. Im Gegenteil kommt man naturgemäß in jeder Wahlrechtsversammlung auf die Aussperrung im Baugewerbe zu sprechen, die Ausgesperrten bilden in jeder Versammlung und Demonstration einen Teil unseres Publikums, und unter dem Eindruck der Brutalität des Kapitals im Baugewerbe weckt jedes Wort der Kritik an den bestehenden Zuständen ein lebhafteres Echo in den Massen. Mit einem Worte: Die Kraftprobe im Baugewerbe trägt dazu bei, die Kampfstimmung für das Wahlrecht zu erhöhen, und umgekehrt kommt die allgemeine Sympathie, die allgemeine Erregung der Massen im Wahlrechtskampf den Bauarbeitern zugute.

Desgleichen haben wir uns eigentlich schon gegen das Schema versündigt, indem wir den Wahlrechtskampf mit der Maifeier, also mit dem Kampfe um den Achtstundentag verknüpft haben, indem wir die Maifeier direkt zu einer Wahlrechtsdemonstration gestaltet haben. Allein, jedermann versteht, daß diese Verknüpfung ein einfaches Gebot der sozialdemokratischen Taktik war und daß gerade durch die Verbindung mit den Mailosungen des internationalen Sozialismus unser preußischer Wahlrechtskampf seinen richtigen Rahmen als proletarischer Klassenkampf erhalten hat.

Hier liegt eben der Schwerpunkt der Frage. Wollen wir unsere preußische Wahlrechtsbewegung im Sinne des bürgerlichen Liberalismus und in Bundesgenossenschaft mit ihm als einen nur politischen Verfassungskampf führen, dann ist allerdings eine strenge Scheidung dieser Be-

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[1] Am 15. April 1910 hatten etwa 160 000 Bauarbeiter den Kampf gegen eine Massenaussperrung im Baugewerbe begonnen, um ihre Forderungen nach Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, nach örtlichen Tarifverträgen und Agitationsfreiheit durchzusetzen. Der Streik dauerte in einigen Großstädten bis Anfang Juli.