Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 35

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meinen Streikfiebers abschloß, erfolgte auf einmal der Ausbruch des Aufruhrs auf dem „Potjomkin“[1], das Signal, daß die Revolution ein neues Wirkungsfeld erobert hat – die zaristische Marine. Nach der zweiten

Pause und dem scheinbar völligen Abflauen des Kampfes, als die Wahlen zur Bulyginschen „Duma“ herankamen, erfolgte der Ausbruch des allgemeinen Eisenbahnerstreiks, das heißt eine neuerliche plötzliche Ausdehnung der Revolution. Ebenso ist die gegenwärtige „Pause“ der sichere Vorbote eines neuen Geburtsakts der Revolution und ihrer schöpferischen Wirksamkeit. Die Aufgabe und die Rolle der bewußten Führerin des Proletariats, der Sozialdemokratie, ist dabei wie immer nur die unermüdliche Lieferung der Elemente, die Sammlung des „Brennmaterials“ der Revolution, das in immer wieder neuen Formen und Fortschritten des Kampfes explodierte. Und diese Elemente, dieses belebende Material der Revolution ist nichts anderes als das politische Bewußtsein und die Klassenorganisation des Stadt- und des Landproletariats im Arbeitskittel und in der militärischen Uniform.

Die beginnende Phase der offenen, bewaffneten Kämpfe auferlegt der Sozialdemokratie die Pflicht der möglichen Bewaffnung der vorderen Reihen der Kämpfenden, das Durchdenken der Pläne und Bedingungen des Straßenkampfes, der Ausnutzung vor allem der Erfahrungen und Lehren des bewaffneten Aufstandes in Moskau. Aber nicht in diesen technischen Vorbereitungen zu bewaffneten Aufständen, obwohl sie wichtig und unentbehrlich sind, nicht in ihnen liegt die Hauptgarantie des Sieges des Volkes in dem offenen Zusammenstoß mit dem Militär. Entscheidend wird schließlich und endlich nicht die in Kampfabteilungen organisierte geringe Minderheit der Arbeiterklasse sein, die sich den revolutionären Kampf zur speziellen Aufgabe macht, sondern die breiteste Masse des Proletariats. Nur ihre Kampfbereitschaft, ihre organisierten und disziplinierten Bewegungen, ihr Massenheldentum kann der Straßenrevolution den endgültigen Sieg sichern. Aber nur revolutionäre Windbeutel von der verschwörerischen Gattung können daran denken, die ganze Masse des Proletariats in Kampfabteilungen zu organisieren. Die Arbeitermassen kann man nur auf dem Boden des ständigen und täglichen ökonomischen und politischen Klassenkampfes organisieren. Die sozialdemokratischen Gewerkschaften und die sozialdemokratischen Vereinigungen, die stärkste Agitation für sie in den Städten und auf dem Lande, die Bildung von Vereinigungen unter dem Militär in den Kasernen – das ist die wichtige

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[1] Am 27. Juni 1905 war auf dem russischen Panzerkreuzer „Potemkin“ ein Matrosenaufstand ausgebrochen, der die erste revolutionäre Massenaktion in der zaristischen Armee und Flotte darstellte.