Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 336

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letariats“, mit der am 22. Januar 1905 die hunderttausend Petersburger Arbeiter vor das Zarenschloß ausrückten, um die politische Freiheit zu fordern, obenan die Forderung des Achtstundentages, und diese Forderung windet sich wie ein roter Faden durch alle großen und kleinen Schlachten des russischen Revolutionskampfes.

Bei uns bietet die herannahende Maifeier die Möglichkeit, die Losung des Achtstundentages dem politischen Kampfe um das Wahlrecht zuzugesellen, sie innerlich zu verbinden. Als echter großer Klassenkampf des Proletariats muß der Wahlrechtskampf alles zusammenfassen und von allem getragen werden, was in die Lebensinteressen des arbeitenden Volkes eingreift, was in den Herzen der Volksmassen lebt, was ihre Sehnsucht ausdrückt.

Die Maifeier hat zuerst den Gedanken der Arbeitsruhe als eines neuen, modernen Kampfmittels des Proletariats in seinem Vordringen zum sozialistischen Endziel, als gemeinsame Parole des internationalen Proletariats ausgegeben. Die Macht der „verschränkten Arme“, die im äußersten Notfall alle Räder für eine Weile zum Stillstand bringt, um den Widerstand des Klassenstaates gegen die gerechten Forderungen der Arbeiter zu brechen – dies der große neue Gedanke, der uns mit der Maifeier vor 20 Jahren verkündet wurde.[1] Dieser Gedanke, prinzipiell durch die deutsche Sozialdemokratie auf dem Jenaer Parteitage im Jahre 1905[2] aufgenommen, hat tatsächlich in den letzten Wochen und Monaten im Sturm und Drang des Wahlrechtskampfes in die Geister breiter Schichten des kämpfenden Proletariats Einzug gehalten, hat von dem Bewußtsein der arbeitenden Massen Besitz genommen. Die Maifeier bekommt dadurch selbst einen neuen, tieferen Sinn für das preußische und für das deutsche Proletariat. Mit mehr bewußter Begeisterung als je müssen in diesem Jahre die Arbeitermassen in Preußen und in Deutschland den befreienden Gedanken der Maifeier begrüßen, wenngleich er in diesem Jahre selbst nicht durch Arbeitsruhe gefeiert wird. Wird doch früher oder später der Augenblick kommen, wo wir auch in Preußen, in Deutschland, im Kampfe um unsere politischen Rechte den Gedanken der Maifeier wahr machen, die Macht des kämpfenden Proletariats durch eine große Arbeitsfeier in entscheidender Weise in die Waagschale werfen müssen.

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[1] Am 13. April 1890 hatte die Reichstagsfraktion der Sozialdemokratie in Halle einen Aufruf „An die Arbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands“ zum 1. Mai beschlossen. Sie forderte die Arbeiter zu Arbeitsruhe und disziplinierten Massenversammlungen auf, um die Provokationspläne der Reaktion zu durchkreuzen. Anläßlich der ersten Maifeier der internationalen Arbeiterbewegung legten in Deutschland trotz des Sozialistengesetzes etwa 200 000 Arbeiter die Arbeit nieder.

[2] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Jena fand vom 17. bis 23. September 1905 statt.