Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 330

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geladenen Kanonen losdonnern, da gibt es in ganz Deutschland ein solches Echo, daß den Herrschenden Hören und Sehen vergehen wird. (Stürmischer, minutenlanger Beifall.) Es liegt in der Tat eine eigene Ironie darin, daß diese herrschende Gesellschaft von uns erwartet, wir würden vor Angst um das Leben vom Kampfe ablassen um alles, was das Leben erst lebenswert macht, dieselbe Gesellschaft, die uns ja gelehrt hat, wie leicht man ein Proletarierleben einschätzt, wo es sich nicht etwa um Ideale der Zukunft, um die Sache der Menschheit handelt, sondern um niedrige kapitalistische Profitinteressen. In der Schlacht bei Sedan sind bekanntlich auf deutscher Seite 3 022 Tote und 5 909 Verwundete gefallen – eine beträchtliche Zahl. Und es waren doch hauptsächlich Proletarierknochen, die da auf dem Schlachtfelde bleichten. Aber was bedeuten diese Ziffern im Vergleich mit der Zahl der Opfer, die die Fron für das Kapital jahraus, jahrein in Deutschland fordert!? Die offizielle Statistik zeigt für das Jahr 1909 an angemeldeten Betriebsunfällen in Deutschland die furchtbare Zahl von 653 000! Wenn man aber bloß die tödlichen Unfälle aufzählt für die Zeit, seit wir die Versicherungsgesetze haben und bis zum Schluß des Jahrhunderts, also von 1884 bis 1900, so sind bloß in diesen 16 Jahren 99 000 Tote auf dem Schlachtfelde der Arbeit gefallen! Und diese Gesellschaft erwartet, wir würden aus Angst vor Lebensopfern von dem einmal eingeschlagenen Wege, vom Kampfe um unsere elementarsten politischen Rechte, zurückweichen! Ja, wenn sich weltgeschichtliche Bewegungen durch so plumpe Mittel in ihrem siegreichen Vordringen hemmen ließen! Wir brauchen nur nach Frankreich, nach dem großen Experimentierfeld der modernen Revolution zu blicken. Wievielmal hat man dort das aufstrebende Proletariat, den Sozialismus, im Blute zu ertränken versucht! In der furchtbaren Junischlächterei des Jahres 1848 sollte der Ruf des Proletariats nach der „sozialen Republik“ erstickt werden. Aber 22 Jahre später wehte die Fahne des Sozialismus wieder siegreich in der Kommune von Paris. Dann kam die Rache für den Kommuneaufstand, die grausame Metzelei im Mai 1870. Zehntausende von Toten und Lebenden wurden in einer gemeinsamen Grube verscharrt, auf dem großen Pariser Friedhof Père Lachaise. Ein großer, nackter, abgetretener Rasen am äußersten Ende des Friedhofes, eine nackte Mauer, an der heute ein paar einfache rote Kränze hängen, ausgebleicht vom Regen wie von Tränenströmen verwaschen, das war alles, was von der Pariser Kommune im ersten Augenblick geblieben war. Die siegestrunkene Bourgeoisie nicht bloß Frankreichs, sondern auch Deutschlands, ja der ganzen Welt jubelte und glaubte, sie habe den Samen des Sozialismus tief unter diesen Rasen

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