Genossen in unserem eigenen Lager, die so pessimistisch über den Zustand der Geister in jenen Schichten dachten, daß sie sagten, noch Jahrzehntemüßten vergehen, bis in diesen schwarzen Winkel einmal das Licht durchdringen wird. Und kaum waren jene Ansichten ausgesprochen, als wir das Schauspiel des gewaltigen Aufruhrs der Bergarbeiter im Ruhrrevier erlebten. Und was geschah? Da standen neben unseren Zentralverbänden die christlichen Verbände im Kampfe. In diesem Moment haben wir in Deutschland eine gewaltige Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit im Baugewerbe[1], und auch hier stehen neben unseren Zentralverbänden die christlichen Verbände im Kampfe und zum Kampfe gerüstet. Noch ein kleines Beispiel aus den jüngsten Tagen. Sie wissen, daß im jetzigen Wahlrechtskampfe die Kieler Genossen[2] gleich Ihnen[3] einen halbtägigen Demonstrationsmassenstreik veranstaltet haben, aus dem infolge der Aussperrungstaktik der Gegner ein dreitägiger geworden ist. Und was hat sich dabei herausgestellt? Gleich bei dieser ersten Probe ist durch die Aktion der sozialdemokratischen Arbeiterschaft ein Trupp der gegnerischen Arbeiter mit in den Strudel des Kampfes hineingezogen worden: die Hirsch-Dunckerschen Arbeiter der kaiserlichen „Germania“-Werft haben sich unseren Genossen im Demonstrationsstreik angeschlossen. Und so, werte Anwesende, wird es bei jeder wichtigen Auseinandersetzung zwischen dem Proletariat und zwischen seinen Feinden sein, ob auf wirtschaftlichem, ob auf politischem Gebiet; denn wenn es zu großen entscheidenden Kämpfen kommt, da zeigt es sich, daß es nicht graue Theorie, sondern lebendige Wirklichkeit ist, daß das gesamte Proletariat ins Lager des Klassenkampfes gehört. Der Zentrumsturm mag lange stehen und der Klassenaufklärung des Proletariats zum Schein trotzen – wenn er je sicher wackelt, so ist es in einer großen, scharfen Massenaktion wie bei einem politischen Massenstreik der Arbeiter. Und hat er erst einmal gewackelt, dann stürzt er auch bald in Trümmer zusammen.
[1] Am 15. April 1910 hatten etwa 160 000 Bauarbeiter den Kampf gegen eine Massenaussperrung im Baugewerbe begonnen, um ihre Forderungen nach Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung, nach örtlichen Tarifverträgen und Agitationsfreiheit durchzusetzen. Der Streik dauerte in einigen Großstädten bis Anfang Juli.
[2] Am 15. März 1910 hatten sich etwa 10 000 Arbeiter der Kruppschen, der Howaldt- und der Kaiserlichen Werft an einem politischen Halbtagsstreik für das demokratische Wahlrecht in Preußen beteiligt.
[3] Für den 23. Februar 1910 war in Frankfurt (Main) ein politischer Halbtagsstreik ausgerufen worden, mit dem etwa 25 000 Arbeiter gegen die Verweigerung des demokratischen Wahlrechts in Preußen protestierten.