Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 32

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hatte, und die ganze Gesellschaft sah instinktiv das unvermeidliche und nahe Zurückweichen der revolutionären Welle in ihr eigentliches Bett – und sogar zeitweilig noch viel weiter zurück – voraus. Solche Pausen der Ermüdung und der Depression waren zugleich die Verkünder der blutigen Niederlage, die die Revolution in Anbetracht dessen unvermeidlich erwartete, weil die Arbeiterklasse, die die Absichten und Bestrebungen der Bourgeoisie mit ihrer Kampfbegierde und dem Radikalismus ihrer Forderungen überholte, jedesmal zum gewaltsamen Zusammenstoß mit den Bajonetten gelangte. Die Schlappe der Revolution war in diesen Fällen wirklich nur eine Schlappe der allzuweit vorauslaufenden und historisch nicht zu verwirklichenden Bestrebungen, eine Schlappe der Klasse, die sie repräsentierte. Der Sieg der Bajonette war die den bürgerlichen Bewegungen eigene Methode, den revolutionären Schwung auf historisch mögliche Grenzen zurückzuziehen.

Das war gerade der Fall in der Großen Französischen Revolution, die im Jahre 1789 vom gemäßigten liberalen Bürgertum unter der Losung der konstitutionellen Monarchie mit sogar sehr beschränktem Wahlrecht begonnen, vom Pariser Kleinbürgertum und Proletariat in drei Jahren bis zur Republik mit sozialistischer Nuance gestoßen wurde. Die Herrschaft der extremen Bergpartei im Jahre 1793[1] war gerade jener höchste Punkt der Revolution, zu dem sie das Pariser Volk zu drängen vermochte, und der Terror, der von der damaligen revolutionären Regierung, dem sogenannten Konvent, angewandt wurde, der die gemäßigten und reaktionären Bürger zu Hunderten auf die Guillotine schickte, war der verzweifelte Versuch des Volkes, an der Macht zu bleiben. Doch die große Revolution vor hundert Jahren war überhaupt selbst erst die Morgenröte der bürgerlichen Ordnung und jedweder Bedingungen eines sozialistischen Umsturzes, und in Frankreich gab es damals nicht einmal eine demokratische Republik. Darum waren die Niederlage und der Sturz der radikalen Bergpartei, die Erstickung des Proletariats und zugleich die Niederlage der Revolution unvermeidbar.

Dasselbe ereignete sich später in der Revolution des Jahres 1848, die in Frankreich durch die liberale Bourgeoisie unter der Losung der Wahlrechtsreform begann, unter dem Druck des Proletariats sofort zur Losung der Volksrepublik weiterschritt und bald noch weiter ging – bis zur Losung eines unklar verstandenen sozialistischen Umsturzes im Sinne der damaligen halbutopischen, halbverschwörerischen Theorie des Sozialismus von Louis Blanc und Auguste Blanqui.

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[1] Die Bergpartei bildete den radikalen Flügel der Gesetzgebenden Versammlung in der Großen Französischen Revolution. Von Juni 1793 bis Juli 1794 übte sie die Herrschaft in Form der revolutionär-demokratischen Diktatur des Jakobinerblocks aus.