Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 296

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schaften, gemacht werden kann. Nur aus einer gemeinsamen, einmütigen Wirkung beider Organisationszweige kann jene gewaltige Aktion im ganzen Lande ausgelöst werden, um die es sich in Deutschland allein handeln kann. Von gewerkschaftlichem Standpunkte kommen nun verschiedene Gesichtspunkte in Betracht. Einerseits ist der westliche Kohlenbezirk schon seit einiger Zeit in heftiger Gärung begriffen und bereitet sich auf einen großen wirtschaftlichen Kampf vor. Andererseits sind in verschiedenen Produktionszweigen, zum Beispiel im Baugewerbe, die Verhältnisse so gespannt, daß die Unternehmer nur auf einen gelegenen Vorwand warten, um umfassende Aussperrungen ins Werk zu setzen. Auf den ersten Blick können beide Umstände als ein Grund erscheinen, einen politischen Massenstreik vom gewerkschaftlichen Standpunkt für wenig angebracht zu halten. Aber nur auf den ersten Blick. Bei näherem Zusehen kann das Zusammentreffen eines umfangreichen Massenstreiks im Kohlenbergbau mit einer politischen Streikbewegung für beide nur von Nutzen sein. In jeder großen Massenbewegung des Proletariats wirken zahlreiche politische und wirtschaftliche Momente zusammen, und sie voneinander künstlich losschälen, sie pedantisch auseinanderhalten wollen wäre ein vergebliches und schädliches Beginnen. Eine gesunde, lebensfähige Bewegung wie die gegenwärtige preußische Kampagne muß und soll aus allem aufgehäuften sozialen Zündstoff Nahrung schöpfen. Andererseits kann [es] für den Erfolg der engeren Bergarbeitersache nur von Nutzen sein, wenn sie dadurch, daß sie in eine breitere, politische einmündet, den Gegnern – den Kohlenmagnaten und der Regierung – mehr Furcht einflößt. Um so eher würden diese sich gezwungen sehen, durch Konzessionen die Bergarbeiter zu befriedigen und sie von der politischen Sturmflut zu isolieren suchen. Was aber die drohenden Aussperrungen betrifft, so wissen wir ja aus zahllosen Erfahrungen, daß, wo es das Interesse des Unternehmertums und sein Herrenstandpunkt erfordern, es ihm auch noch nie an Vorwänden zu einer brutalen Massenaussperrung gefehlt, noch ein Mangel an halbwegs gerechtfertigten Vorwänden sie je von der Ausführung ihrer Gewaltakte abgehalten hat. Ob ein politischer Massenstreik verwirklicht wird oder nicht, die Aussperrungen werden nicht ausbleiben, sofern sie dem Unternehmertum in den Kram passen. Das zeitliche Zusammenfallen dieser Aussperrungen mit einer großen politischen Bewegung kann nur die Wirkung haben, daß sie durch die allgemeine Hebung des Idealismus, der Opferwilligkeit, der Energie und Widerstandsfähigkeit des Proletariats auch für die partiellen Leiden jener Aussperrungen die Arbeiter widerstandsfähiger machen wird.

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