Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 29

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Bourgeoisie und ihre Intelligenz beginnen, unter dem Einfluß der „siegreichen“ Morde des Absolutismus in Moskau und der zeitweiligen Einstellung der Streikaktion schon wieder am Sieg der Revolution zu zweifeln und ihren bewundernden Blick auf das Bajonett und das Maschinengewehr zu richten, während sich der internationale Kapitalismus beeilt, durch die Erhöhung der Kurse der russischen Papiere an der Börse der augenblicklichen scheinbaren Überlegenheit der Konterrevolution in Moskau eine Huldigung und ein Vertrauensvotum darzubringen, unterliegt der Sieg der Revolution aus dem einfachen Grunde überhaupt keinem Zweifel mehr, weil er bereits heute eine Tatsache ist und mit jedem Tage mehr zu einer Tatsache wird. Der Sturz des Absolutismus und die politische Freiheit, die nach der Meinung der Bourgeoisie erst aus den Wolken fallen, wenn die Wahlen zur „Duma“ auf Grund der wohl elendesten Wahlrechtslosigkeit verwirklicht sind, die politische Freiheit, die für die Bourgeoisie erst dann zu einer Tatsache wird, wenn die Ritter vom Sack in den neu bestellten Gesetzgebungsstühlen im Saal der zaristischen „Duma“ Platz nehmen werden, diese Freiheit verwirklicht sich tatsächlich schon mit jedem Tag im Prozeß des Kampfes selbst.

Der Absolutismus als Regierungsform besteht tatsächlich nicht mehr, er wurde abgeschafft. Für die reaktionäre Bourgeoisie, für die die Regierungsgewalt in der Knute versinnbildlicht ist, herrscht die Bande Wittes[1] und Durnowos heute in vollem Umfang, denn sie hat noch die Macht, Gewalttaten und Morde zu vollbringen. Aber das Wesen einer jeden wenn auch noch so reaktionären Regierung beruht nicht auf Gewalttaten, sondern auf der Ausübung bestimmter normaler Funktionen im Interesse der kapitalistischen Gesellschaft. Die gegenwärtige Regierung ist nicht in der Lage, eine dieser Funktionen auszuführen. Sie kann der Kapitalistenklasse keine normale und ruhige Bereicherung durch die Ausbeutung der Arbeitskraft sichern, denn die Revolution hat den ökonomischen Klassenkampf, die Streiks, die Forderungen des Proletariats, die politische Aktion so weit entfesselt, daß der kapitalistische Ausbeutungsprozeß seine Kontinuität und Sicherheit verloren hat, er wird jeden Moment unterbrochen und erschüttert. Die heutige Regierung kann auch dem Landadel keine ungefährliche und ruhige Bereicherung durch die Ausbeutung des Landarbeiters mehr sichern, denn die Revolution hat den Bauernkrieg ausgelöst, den zu beschwichtigen die zaristische Regierung nicht mehr in der Lage ist. Sie kann auch das ständige Funktionieren der in jeder bür‑

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[1] S. J. Witte war vom Oktober 1905 bis April 1906 russischer Ministerpräsident. Er war Monarchist, aber zu einem Bündnis mit der Großbourgeoisie und zu konstitutionellen Zugeständnissen bereit.