Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 276

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Organisation nachzukommen, muß unwillkürlich die Frage auftauchen: Ist es denn am Ende der Mühe wert, alles daranzusetzen, um eine ähnliche Macht zu erreichen, wenn man, erst gerade auf diesem Gipfel angelangt, ein solches Gefühl der eigenen Schwäche bekommt und an Aufgaben verzweifelt, an die man früher, bei viel schwächerer Organisation, mit Elan, Mut und Glauben herantrat?

Zweierlei Gesichtspunkte werden von den Gegnern der Maifeier ins Feld geführt. Vor allem habe sich die Maifeier ohnehin nicht bewährt, denn eine allgemeine Arbeitsruhe sei doch nicht einmal in Deutschland annähernd durchgeführt worden. Die vergeblichen Versuche aber, die Arbeitsruhe durchzusetzen, bringen für die gewerkschaftlichen Organisationen ernste Erschütterungen, Gefahren und Kämpfe, die angesichts der Unerreichbarkeit des Zieles ganz nutzlos sind. Diejenigen, die hartnäckig auf das angebliche Mißlingen der Maifeier bis jetzt hinweisen, gehen hier von einer Auffassung der Maifeier aus, die allen Beobachtungen und Erfahrungen der zwanzigjährigen Praxis widerspricht. Kein vernünftiger, denkender Politiker des Klassenkampfes kann erwarten, daß die Maifeier sich zu einer mit automatischer Regelmäßigkeit alljährlich wiederholenden absoluten allgemeinen Arbeitsruhe in allen Ländern oder auch nur in einigen, in einem Lande gestalten würde. Die Verteidiger der bedächtigen Abzahlungspolitik und der kleinen, schrittweisen Errungenschaften erweisen sich merkwürdigerweise gerade in der Maifeierfrage als Anhänger des sonst so verpönten Grundsatzes: Alles oder nichts. Wo die Maifeier sich nicht als absolute alljährliche Arbeitsruhe durchsetzen läßt, so soll sie überhaupt fallengelassen werden. Aber die Maifeier ist eben kein ausgeklügelter Kunstgriff der proletarischen Taktik, keine mechanische Methode, um auf Kommando eine plötzliche allgemeine Arbeitsruhe entstehen zu lassen. Im Streben zu diesem Ziel, in der Agitation um dieses Ziel, in der Aufklärung um dieses Zieles willen liegt die Hauptbedeutung der Maifeier, darin, daß sie uns eben die Möglichkeit gibt, alljährlich an den wechselnden Fortschritten der Arbeitsruhe die Werbekraft unserer Idee zu messen, die Wirksamkeit unserer Agitationsmittel zu prüfen, den Pulsschlag des Klassenkampfes ständig zu fühlen. Ein lebendiges Stück des Klassenkampfes, reagiert eben die Maifeier auf alle Wechselfälle, alle Konjunkturen des politischen und ökonomischen Lebens der Arbeiterklasse. Wirtschaftlicher Aufschwung oder Krise, politische Wahljahre, Verschärfung politischer Parteikämpfe, Belebung der Lohnkämpfe – alles das spiegelt sich alljährlich in jedem Lande in der Maifeier, indem die Arbeitsruhe bald größere, bald geringere Dimensionen annimmt. Und

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