Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 272

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kommt noch eins hinzu. Der Antrag des Parteivorstandes erwähnt nicht mit einem Worte die Arbeitsruhe als die zu erstrebende Form der Maifeier. Es soll „für eine würdige Feier Sorge getragen werden“. Worin aber die „würdige Feier“ besteht, wird den Auslegungen überlassen, unter verklausuliertem Hinweis auf die „Berücksichtigung der beruflichen und örtlichen Verhältnisse und der Bestimmungen der gewerkschaftlichen Organisationen sowie der Beschlüsse des Parteitages“. Mit anderen Worten: An Stelle der bisherigen allgemeinen und einheitlichen Beschlüsse über die nach Möglichkeit anzustrebende Arbeitsruhe als die würdigste Form der Maifeier wird die Regelung der Maifeier dem freien Ermessen der gemischten Kommissionen an jedem Orte anheimgestellt und, wo die Bestimmungen der gewerkschaftlichen Organisation, wie z. B. der Metallarbeiter, mit den bisherigen Parteibeschlüssen in Widerspruch stehen, den Genossen an Ort und Stelle überlassen, sich aus diesen Widersprüchen herauszuarbeiten.

So gequält und widerspruchsvoll die Vorschläge des Parteivorstandes sind, er konnte beim besten Willen kein befriedigenderes Resultat erzielen, nachdem man ihn zusammen mit der Generalkommission vor eine unlösbare Aufgabe gestellt hatte. Wenn aber den Parteivorstand sicher kein Vorwurf trifft, an einer Quadratur des Zirkels gescheitert zu sein, so ist es nicht minder sicher Pflicht der Partei, nachdem sie die Abmachung, die dem Nürnberger Parteitag vorlag, abgelehnt hat, auch die gegenwärtige aus denselben und aus noch besseren Gründen ebenfalls abzulehnen. In der Frage der Maifeier tut der Arbeiterbewegung wie in allen Fragen am meisten not: volle Klarheit. Es ist notwendig, daß sich die Partei offen entscheidet: Entweder will sie an dem Gedanken der Maifeier als Arbeitsruhe, d. h. in der Form und in dem Sinne, wie er seit zwanzig Jahren vom internationalen Proletariat gepflegt, propagiert und heiliggehalten wird, festhalten, dann darf die Maifeier, wie bisher, von keiner Frage der Unterstützungsformen abhängig gemacht werden. Oder aber will man die Maifeier als Arbeitsruhe abschaffen, dann muß dies klar und unumwunden ausgesprochen werden, denn damit ist die Maifeier überhaupt abgeschafft.

Tatsächlich bedeutet die Verweisung der Maifeier an die neuerfundenen „Bezirkskassen“ ihre Verweisung – in die „vierte Dimension“, d. h. das

Begräbnis des Maifeiergedankens überhaupt. Die klare und offene Abschaffung der Maifeier hätte aber sicher den Vorzug, daß sie sofort allen Mißverständnissen ein Ende machen und den unvermeidlichen heftigen Protest in den weitesten Kreisen der sozialdemokratischen Dreimillionenarmee hervorrufen müßte.

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