Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 266

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Freilich, auch die sozialdemokratische Agitation hat in Rußland gegenwärtig genug unter dem Spitzelwesen zu leiden, auch jede bescheidenste Arbeiterorganisation muß beständig vor Provokateuren auf der Hut sein. Aber es ist vor allem eine allgemein bekannte Tatsache, daß es vorzugsweise terroristische Organisationen sind, die auf die Lockspitzel eine magnetische Anziehungskraft ausüben, genauso wie sich auch in Westeuropa Lockspitzel nicht den sozialdemokratischen Arbeitern, sondern den anarchistischen Gewaltanbetern mit Vorliebe an die Rockschöße hängen. Sodann aber sind die Früchte ihrer Wirkung hier wie dort grundverschieden. In den Anfängen der Revolutionsperiode versuchte die zarische Regierung durch Provokation großen Stils auch die Arbeiterbewegung zu verderben. Nach dem Rezept des berühmten Subatow[1] wurden von Geheimagenten in verschiedenen Städten Arbeiterorganisationen, Gewerkschaften ins Leben gerufen und geleitet. Proletarische Elemente kamen so unter die Leitung von Lockspitzeln verschiedenen Ranges. Und was war das Ende? Die von Geheimagenten gegründeten Arbeitervereine in Odessa gaben das Signal zu jener gewaltigen Aufstandsbewegung, die im Jahre 1903 den ganzen Süden Rußlands wie mit einem Flammenmeer umfing. Und die Subatowschen Vereine in Petersburg, vom Popen Gapon geleitet[2], gaben durch ihren Marsch zum Winterpalais am 22. Januar 1905 das Signal zum Ausbruch der russischen Revolution. Den Popen Gapon selbst muß man gleichfalls für einen Geheimagenten der Regierung halten; jedenfalls versank er zum Schluß seiner Karriere in der offenkundigsten Korruption. Aber dieser selbe Pope wurde einen Moment lang von dem revolutionären Massensturm, den er entfesseln half, als sein Fahnenträger vorwärtsgeschoben, bis er nach abgespielter Rolle durch eigene Korruption zugrunde ging. Und so wie in diesem Falle ging es jedesmal: Die mit der Arbeiterbewegung spielenden Regierungsagenten verwandelten sich wider Willen in Werkzeuge der revolutionären Sache, um von ihr nach getanem Dienst wie Unrat weggespült zu werden. Die innere historische Logik des proletarischen Klassenkampfes erweist sich eben als stärker denn die Absichten und Pläne der Reaktion, und sie macht sich jedermann dienstbar, der die Arbeiter zu organisieren und mobil zu machen versucht. Die Geheimagenten der Reaktion, die sich an die Arbeiterbewegung heranmachen, werden zu ungewollten Werkzeugen des Klassenkampfes und fangen sich am Ende in der eigenen Schlinge – in terroristischen Organisationen, die mit ihrer anarchistischen Taktik in der Luft hängen, werden

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[1] Auf Initiative des Gendarmerieobersten S. W. Subatow machte die zaristische Regierung von 1901 bis 1903 den Versuch, die Arbeiter vom revolutionären Kampf abzulenken, indem sie legale, von der Polizei kontrollierte Arbeiterorganisationen schuf.

[2] G. A. Gapon hatte 1903/04 im Auftrag und unter dem Schutz der Polizei in Petersburg „Arbeiterorganisationen“ geschaffen, um die Arbeiter von der sozialdemokratischen Bewegung fernzuhalten. Er war der Initiator der Petersburger Demonstration am 22. Januar 1905.