Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 265

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Proletariat bedarf hoffentlich solcher „Entdeckungen“ nicht, und der bürgerlichen sogenannten „öffentlichen Meinung“ ist damit nichts bewiesen, weil sie vorsätzlich vor diesen Schönheitsflecken auf dem Sonnenbilde des letzten absolutistischen Regimes die Augen schließt.

Die jüngste Entlarvung des Provokateurs Asef in Paris aber sowie die Aufdeckung der Moskauer Korruption enthalten ganz andere tiefernste Lehren, die sich an die sozialistische Welt selbst richten. Und es ist unseres Erachtens viel ratsamer und heilsamer, im Anschluß an die genannten sensationellen Vorkommnisse ein paar ernste Worte pro domo sua zu sagen. Denn im Grunde genommen bedeuten diese Entdeckungen nicht einen Bankrott der russischen Polizei, sondern den Zusammenbruch jener verfehlten Kampfestaktik eines Teils der russischen Revolutionäre, gegen die die Sozialdemokratie seit Jahren in Rußland wie in Polen in energischster Weise zu Felde zieht. Es ist die unselige Taktik des Terrorismus und der sogenannten Expropriationen, das heißt der räuberischen Überfälle und Aneignungen von Geldern, was die ungeheuerliche Verquickung der revolutionären Aktion mit polizeilichen Machenschaften ermöglicht hat. Taub gegen die sozialdemokratische Beweisführung, daß solche Kampfmethoden mit der revolutionären Sache des Proletariats, mit dem Klassenkampf nichts gemein haben, daß sie nur schädlich, desorganisierend wirken können, hat sich die Partei der Sozialisten-Revolutionäre in Rußland und die mit ihr verbündete Polnische Sozialistische Partei, Revolutionäre Fraktion[1] in Polen bis auf den heutigen Tag darauf versteift, den Terror und die Expropriationen als „revolutionäre“ Taten theoretisch zu verteidigen und praktisch auszuüben. Und die Folgen? Eine furchtbare Korruption, die in den Reihen der beiden Parteien eingerissen ist, eine Unzahl von Spitzeln und Provokateuren, die sich unter die Kämpfer gemischt haben, eine völlige Vermischung revolutionärer Reihen mit gemeinem Lumpenproletariat wie in Polen, wo man unter den tagtäglich wegen Raubüberfällen standrechtlich Hingerichteten absolut nicht mehr Opfer einer revolutionären Verirrung von einfachen Strolchen zu unterscheiden vermag, oder eine Verquickung der revolutionären Aktion mit schmutzigen polizeilichen Intrigen wie in Moskau oder endlich die Verwandlung der Revolutionäre von hochherzigstem Idealismus und heroischem Opfermut in tragische Spielbälle infamer Provokateure, wie der Fall Asef in Paris zeigt.

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[1] Die Polnische Sozialistische Partei, Revolutionäre Fraktion – eine rechtssozialdemokratische Partei – war im November 1906 im Ergebnis des Zerfalls der Polnischen Sozialistischen Partei entstanden. Sie vertrat nationalistische Anschauungen.