Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 261

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trumspartei in Bayern. („Sehr richtig!“) Und worauf lief hinaus die Verteidigung von Frank? Auf ein ebenso unbeabsichtigtes, aber um so wirksameres Plädoyer für die fortschrittlichen Minister der badischen Regierung. („Sehr richtig!“ Zurufe bei den Süddeutschen.) Ich weiß, Ihr habt im Landtag ganz anders die Haltung der Regierung gekennzeichnet. Aber der Widerspruch zwischen jenen Worten und Euren Worten hier zeigt gerade so recht, wie Ihr Euch mit Eurer überschlauen Diplomatie in die Nesseln gesetzt habt. („Sehr gut!“) Ich müßte mich sehr irren, wenn nicht Eure Reden von gestern uns nochmals in die Hände kommen, und zwar in Flugblättern des Zentrums und in den Kreisblättern der Regierung. Dort wird es heißen: Freilich, dieselben Leute haben uns im Parlament – natürlich aus Diplomatie – ganz anders heruntergerissen, aber ihren eigenen Brüdern und Genossen haben sie wohl eher ihre ehrliche Überzeugung gesagt, und dort haben sie alles gelobt, was wir geleistet haben. Anstatt auf Schritt und Tritt den Massen zu zeigen, wie erbärmlich, wie geringfügig das ist, was Ihr errungen habt, habt Ihr Euch logisch gezwungen (Zurufe: „Wer hat die Schuld daran?!“) – unterbrechen Sie mich nicht, Sie haben unbeschränkte Redezeit gehabt („Sehr gut!“) –, diese Lappalien ins Große zu ziehen und uns in übertriebener Weise als etwas ganz Wichtiges, als große Errungenschaft hinzustellen. Frank sagte: Weil die Parteipresse auf den Bahnhöfen verkauft werden kann, befinden wir uns auf dem Wege der politischen Gleichberechtigung (Lachen.), und weil das Budget einer Staatsarbeiterfamilie von 600 und 700 M auf 1 000 M erhöht ist, eine Zulage, die bei weitem nicht ausreicht, um den Ausfall, der durch den Hungertarif[1] entstanden ist, zu decken, deshalb können wir nicht mehr der Regierung unser Mißtrauen ausdrücken. Ei, Parteigenossen, die Politik der Diplomatie und der staatsmännischen Klugheit ist eine Schule der Bescheidenheit. („Sehr gut!“) Wie diese Bescheidenheit im Anfang aussieht, zeigen uns die süddeutschen Parlamentarier, aber wie sie am Ende aussieht, das zeigt uns der Blockfreisinn[2]

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[1] Am 14. Dezember 1902 waren im Reichstag ein neues Zollgesetz und neue Zolltarife beschlossen worden, wodurch die Agrar- und einige Industriezölle wesentlich erhöht wurden. Die sozialdemokratischen Abgeordneten im Reichstag, die mit allen parlamentarischen Mitteln und unterstützt durch eine breite Protestbewegung in ganz Deutschland gegen den Zollwucher gekämpft hatten, wurden durch wiederholten Bruch der Geschäftsordnung des Reichstags bei ihrem Auftreten im Plenum behindert. Am 1. März 1906 traten die neuen Zolltarife in Kraft und brachten für die Mehrheit der Bevölkerung eine erhebliche Verschlechterung ihrer Lebenslage.

[2] Die Wahlen zum Reichstag (bekannt geworden als Hottentottenwahlen) hatten am 25. Januar und 5. Februar 1907 stattgefunden. Die Sozialdemokratie konnte ihre absolute Stimmenzahl von 3 Millionen im Jahre 1903 auf fast 3.3 Millionen 1907 steigern. Auf Grund der veralteten Wahlkreiseinteilung sowie der Stichwahlbündnisse der bürgerlichen Parteien gegen die Sozialdemokratie erhielt diese nur 43 Mandate gegenüber 81 im Jahre 1903. Nach den Wahlen hatten sich die Konservativen, die Nationalliberalen und die Linksliberalen zum Bülow-Block (Hottentottenblock) zusammengeschlossen. Gestützt auf diesen Block, war es Bernhard von Bülow möglich, im Reichstag eine Reihe reaktionärer Gesetze und Maßnahmen durchzusetzen.