Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 252

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kann es nach Tolstoi nur dann kommen, wenn sie aus einem Ausdrucksmittel der herrschenden Klassen wieder zur Volkskunst, d. h. zum Ausdruck einer gemeinsamen Weltanschauung der arbeitenden Gesellschaft, wird. Und mit starker Faust schleudert er in das Verdammnis der „schlechten, falschen Kunst“ die größten und kleinen Werke der berühmtesten Sterne der Musik, der Malerei, der Dichtkunst hinab und zum Schluß – seine sämtlichen eigenen herrlichen Werke. „Sie stürzt, sie zerfällt, die schöne Welt, ein Halbgott hat sie zerschlagen.“ Nur noch einen letzten Roman – „Auferstehung“ – schrieb er seitdem, sonst hielt er es nur für wert, einfache, kurze Volksmärchen und Traktätchen zu schreiben, „die jedermann verständlich sind“.

Der schwache Punkt Tolstois: die Auffassung der ganzen Klassengesellschaft als einer „Verirrung“ statt einer historischen Notwendigkeit, die die beiden Endpunkte seiner geschichtlichen Perspektive, den Urkommunismus und die sozialistische Zukunft, verbindet, liegt auf der Hand. Wie alle Idealisten, glaubt er ja auch an die Allmacht der Gewalt und erklärt die ganze Klassenorganisation der Gesellschaft als das bloße Produkt einer langen Kette nackter Gewaltakte. Aber eine wahrhaft klassische Größe liegt in dem Gedanken über die Zukunft der Kunst, die Tolstoi zugleich in der Vereinigung der Kunst als Ausdrucksmittel mit dem sozialen Empfinden der arbeitenden Menschheit und der Ausübung der Kunst, d. h. der Künstlerlaufbahn, mit dem normalen Leben eines arbeitenden Gesellschaftsgliedes erblickt. Die Sätze, in denen Tolstoi das Abnorme in der Lebensweise des heutigen Künstlers geißelt, der nichts anderes tat als „seiner Kunst leben“, sind von lapidarer Wucht, und es liegt ein echt revolutionärer Radikalismus darin, wenn er die Hoffnungen zerschlägt, eine Verkürzung der Arbeitszeit und Hebung der Bildung in den Massen werde ihnen das Verständnis für die Kunst, wie sie heute gestaltet ist, verschaffen:

„Das alles sagen die Verteidiger der heutigen Kunst mit Vorliebe, doch bin ich überzeugt, daß sie selbst nicht glauben, was sie sagen. Sie wissen wohl, daß die Kunst, wie sie sie auffassen, die Unterdrückung der Massen zur notwendigen Bedingung hat und sich auch durch die Aufrechterhaltung dieser Unterdrückung selbst aufrechterhalten kann. Es ist unerläßlich, daß sich Massen von Arbeitern in der Arbeit erschöpfen, damit unsre Künstler, Schriftsteller, Musiker, Sänger und Maler auf den Grund der Vollkommenheit gelangen, der ihnen gestattet, uns Vergnügen zu bereiten … Doch selbst angenommen, daß diese Unmöglichkeit möglich ist und daß man ein Mittel fände, die Kunst, wie man sie auffaßt, dem Volke zugäng-

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