Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 228

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Marxisten“, sagt Genosse Plechanow, „ist der werktätige Bauer unter den Verhältnissen der modernen kapitalistischen Warenwirtschaft nicht mehr als eine der Spielarten des unabhängigen kleinen Warenproduzenten, und die unabhängigen kleinen Warenproduzenten werden von uns nicht ohne Grund zum Kleinbürgertum gerechnet.“ Daraus ergibt sich, daß der Bauer, ebenso wie der Kleinbürger, ein reaktionäres Element der Gesellschaft ist, und wer ihn für revolutionär hält, idealisiert ihn, unterordnet die selbständige Politik des Proletariats dem Einfluß des Kleinbürgertums.

Die angeführte Argumentation ist wiederum ein klassisches Beispiel für jene berüchtigte metaphysische Denkweise nach der Formel: Ja – ja, nein – nein, und was darüber ist, das ist vom Übel. Die Bourgeoisie ist eine revolutionäre Klasse – und was darüber ist, das ist vom Übel. Die Bauernschaft ist eine reaktionäre Klasse, und was darüber ist, das ist vom Übel. Zweifellos ist die im angeführten Zitat gegebene Einschätzung des Bauern in der bürgerlichen Gesellschaft richtig, sofern es sich um die sogenannten normalen, ruhigen Perioden im Dasein dieser Gesellschaft handelt. Und in diesen Grenzen krankt sie an beträchtlicher Engstirnigkeit und Einseitigkeit. In Deutschland stoßen immer zahlreichere Schichten nicht nur des Landproletariats, sondern auch der Kleinbauern zur Sozialdemokratie und beweisen damit, daß es bis zu einem gewissen Grade trockener und lebloser Schematismus ist, wenn man von der Bauernschaft als einer durchweg einheitlichen Klasse reaktionärer Kleinbürger spricht. Auch in der noch nicht differenzierten Masse der russischen Bauernschaft, die von der gegenwärtigen Revolution in Bewegung gebracht wurde, befinden sich bedeutende Schichten nicht nur unserer zeitweiligen politischen Verbündeten, sondern auch unserer künftigen natürlichen Genossen. Und jetzt schon darauf zu verzichten, sie unserer Führung und unserem Einfluß zu unterordnen, wäre eben ein für den Vortrupp der Revolution unverzeihliches Sektierertum.

Aber vor allem die mechanische Übertragung des Schemas von der Bauernschaft als einer reaktionären kleinbürgerlichen Schicht auf die Rolle der gleichen Bauernschaft in der revolutionären Periode ist zweifelsohne ein Verstoß gegen die historische Dialektik. Die Rolle der Bauernschaft und die Haltung des Proletariats ihr gegenüber wird ebenso wie die Rolle der Bourgeoisie nicht von den subjektiven Wünschen und Bestrebungen dieser Klassen bestimmt, sondern von ihrer objektiven Lage. Die russische Bourgeoisie ist trotz der mündlichen Erklärungen und der gedruckten Programme des Liberalismus eine objektiv reaktionäre Klasse, weil ihre Interessen in der gegenwärtigen sozialen und historischen

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