Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 227

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nach Anarchismus rieche, wenn man vom Proletariat allein als einer revolutionären Klasse spreche. Wie Sie sehen, sind die Schlußfolgerungen ziemlich verschiedenartig und stimmen nur darin überein, daß sie für mich alle gleich vernichtend sein sollen.

Eigentlich muß man sich etwas über die Erregung wundern, in die meine Kritiker im Zusammenhang damit geraten sind, daß ich hauptsächlich die Wechselbeziehungen zwischen Proletariat und Bourgeoisie in der gegenwärtigen Revolution beleuchtet habe. Es steht doch außer Zweifel, daß gerade dieses Verhältnis, gerade die Definition vor allem der Haltung des Proletariats gegenüber seinem sozialen Antipoden, gegenüber der Bourgeoisie, den Kern der Frage darstellt, jene Hauptachse der proletarischen Politik ist, um die sich dann sein Verhältnis zu den anderen Klassen und Gruppen, zum Kleinbürgertum, zur Bauernschaft und anderen, herauskristallisiert. Und wenn wir zu der Schlußfolgerung kommen, daß die Bourgeoisie in der gegenwärtigen Revolution nicht die Rolle des Führers der Befreiungsbewegung spielt und sie auch nicht spielen kann, daß sie dem Wesen ihrer Politik nach konterrevolutionär ist, wenn wir demzufolge erklären, daß sich das Proletariat bereits nicht mehr als Hilfstrupp des bürgerlichen Liberalismus betrachten darf, sondern als Vortrupp der revolutionären Bewegung, der seine Politik nicht in Abhängigkeit von den anderen Klassen festlegt, sondern sie ausschließlich von seinen eigenen Klassenaufgaben und -interessen ableitet, wenn wir sagen, daß das Proletariat nicht nur der Steigbügelhalter der Bourgeoisie ist, sondern zu einer selbständigen Politik berufen ist – wenn wir all das sagen, so scheint damit klar ausgedrückt zu sein, daß das bewußte Proletariat jede revolutionäre Bewegung des Volkes ausnutzen und sie seiner Führung und seiner Klassenpolitik unterordnen muß. Speziell in bezug auf die revolutionäre Bauernschaft konnte es bei niemandem Zweifel darüber geben, daß wir ihre Existenz nicht vergessen und die Frage nach dem Verhältnis des Proletariats zu ihr keineswegs mit Stillschweigen übergehen. Die dem Parteitag vor einigen Tagen von den polnischen Genossen, darunter auch von mir, vorgelegten Direktiven für die sozialdemokratische Dumafraktion haben in dieser Frage eine völlig klare und genaue Sprache gesprochen.

Ich benutze hier die Gelegenheit, um wenigstens mit einigen Worten diese Fragen näher zu berühren. Das Verhältnis des rechten Flügels unserer Partei zur Frage der Bauernschaft wird – genauso wie das zur Frage der Bourgeoisie – durch das bekannte fertige, vorher gegebene Schema bestimmt, dem die wirklichen Verhältnisse bereits unterliegen. „Für uns

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