Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 218

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Revolution ihren eigenen Weg geht und in ihrem Auftreten den Gesetzen und der Logik ihrer eigenen Bewegung folgt, unabhängig von der Bewegung der Liberalen. Seit dieser Zeit hat sich der Liberalismus entschieden anders besonnen, und jetzt sind wir Zeugen seines schmählichen Rückzuges in der II. Duma, in der Duma Golowins und Struves[1], in der Duma, in der für das Budget und die Rekrutenaushebung, für die Bajonette, mit denen die Duma morgen auseinandergejagt wird, gestimmt wird. So sieht jene Bourgeoisie aus, die man uns empfiehlt als revolutionäre Klasse zu betrachten, die wir nicht „stören“ dürfen, die Macht zu erlangen, und die berufen ist, das Proletariat zu „erziehen“. Es zeigt sich, daß das erstarrte Schema auf das heutige Rußland überhaupt nicht anwendbar ist. Es zeigt sich, daß jener revolutionäre, zur Macht strebende Liberalismus, dem man uns empfiehlt die Taktik des Proletariats anzupassen, dem zuliebe man bereit ist, die Forderungen des Proletariats zu beschneiden, daß dieser revolutionäre russische Liberalismus in Wirklichkeit nicht existiert, sondern daß er ein Phantasiegebilde, etwas Erfundenes, ein Phantom ist. (Beifall.) Und diese Politik, die auf ein totes Schema und auf erfundene Verhältnisse aufgebaut ist, die die besonderen Aufgaben des Proletariats in dieser Revolution nicht berücksichtigt, nennt sich „revolutionärer Realismus“.

Aber laßt sehen, wie das mit der proletarischen Taktik überhaupt in Einklang zu bringen ist. Dem russischen Proletariat wird empfohlen, sich in seiner Kampftaktik davon leiten zu lassen, daß es die Kraft des Liberalismus nicht vorzeitig untergräbt und sich von ihm nicht isoliert. Aber wenn das als „taktlose“ Taktik bezeichnet wird, dann, fürchte ich, muß man die gesamte Tätigkeit und die ganze Geschichte der deutschen Sozialdemokratie als eine einzige, ununterbrochene Taktlosigkeit bezeichnen, weil, angefangen mit der Agitation Lassalles gegen die „Fortschrittler“ bis zum gegenwärtigen Augenblick, das Wachstum der Sozialdemokratie auf Kosten des Wachstums und der Kräfte des Liberalismus geht. Jeder Schritt des deutschen Proletariats nach vorn zieht dem Liberalismus das Fundament unter den Füßen weg. Und dieselbe Erscheinung begleitet die Klassenbewegung des Proletariats in allen Ländern. Als Taktlosigkeit müßte man die Pariser Kommune bezeichnen, da sie das französische Proletariat so isoliert und die liberale Bourgeoisie. aller Länder so zu Tode erschreckt hat. Als nicht weniger taktlos müßte man das Auftreten des französischen Proletariats in den berühmten Junitagen bezeichnen, in

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[1] F. A. Golowin war Präsident der II. Reichsduma, die von April bis Juni 1907 bestand. - P. B. Struve war der Führer der rechten Kadetten.