Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 184

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jenes allgemeinen gewaltigen Massenstreiks, der von Moskau aus über das ganze Zarenreich ging, die Bulyginsche Dumakomödie[1] weggeschwemmt und das Zarenmanifest vom 30. Oktober[2] erzwungen hat. In Petersburg war es die Buchdruckergewerkschaft alsdann, die auf ihren Schultern die eigentlichen Kosten der Durchführung der Preßfreiheit trug, als es nach dem Oktobermanifest galt, die auf dem Papier zugesagten Verfassungsfreiheiten gewaltsam, auf revolutionärem Wege ins Leben durchzusetzen. Es war eigentlich der Buchdruckerverband, der im Zarenreich die Zensur aus eigener Machtvollkommenheit in der Praxis abgeschafft und sich damit ein unsterbliches Blatt in der Geschichte der Revolution erworben hat. Auch abgesehen davon war und ist die Buchdruckergewerkschaft auf Schritt und Tritt der allgemeinen Aufgaben und Interessen der Revolution und des Proletariats als Klasse eingedenk und stellt sie stets den engeren Interessen ihres Gewerbes voran. So haben die Buchdrucker durch den Boykott reaktionärer Blätter unter Gefährdung der eigenen materiellen Lage mehrmals in wirkungsvoller Weise in die politischen Kämpfe eingegriffen. Und jede allgemeine politische Erhebung des Proletariats, jeder revolutionäre und demonstrative Massenstreik wurde von den Buchdruckern in entschlossener Weise durch allgemeine und lokale Generalstreiks unterstützt. Die Buchdrucker in Rußland wurden auch gleich anderen tätigen Proletariern und noch mehr gemaßregelt, eingesperrt, manche fielen als Opfer des Straßenkampfes.

Die gewerkschaftliche Politik der russischen Buchdrucker stellt also so ziemlich das direkte Gegenteil derjenigen des deutschen Verbandes dar. Jene ist genauso ein klassisches Stück der verwegensten „Revolutionsromantik“, wie diese ein Typus der englischen sozialen Friedensschwärmerei ist. Wie steht es nun um die wirtschaftlichen Interessen, um die rein gewerkschaftlichen Errungenschaften der revolutionsromantischen russischen Buchdrucker? Bereits im Sommer und im Herbste des Jahres 1905, nach einem halben Jahre stürmischer gewerkschaftlicher Kämpfe, errangen die Buchdrucker einen allgemeinen neunstündigen Arbeitstag – an Stelle des früher üblichen zwölf-, ja dreizehnstündigen Arbeitstags. Allein, damit nicht zufrieden, setzten sie den Kampf unter der sozialdemokratischen Programmparole fort und kämpften um den Achtstundentag. Bereits in mehreren Fällen ist ihnen voller Sieg geworden. Und zwar nicht bloß ohne materielle Verluste an Lohnbedingungen, sondern umgekehrt unter gleichzeitigen starken Lohnerhöhungen. Greifen wir nur

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[1] Am 19. August 1905 hatte die zaristische Regierung ein vom Innenminister A. G. Bulygin verfaßtes Gesetz für die Wahlen zu einer Reichsduma erlassen. Danach war die Duma nur als beratendes Organ vorgesehen, und die Wahlen sollten nach dem Ständeprinzip und nach einem festgelegten Vermögenszensus vollzogen werden.

[2] Die zaristische Regierung sah sich angesichts des politischen Generalstreiks in Rußland gezwungen, konstitutionelle Zugeständnisse zu machen. Im Manifest vom 30. Oktober 1905 wurden bürgerliche Preiheiten gewährt, der Kreis der Wahlberechtigten für die Duma erweitert und der Duma die legislative Gewalt gegeben.