Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 183

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sich die Früchte einer solchen Politik auch für das blödeste Auge sinnenfällig gezeigt haben. Jahrzehntelang schienen der glänzende Kassenstand, die gesicherten Existenzbedingungen, die verhältnismäßig günstigen Arbeitsbedingungen sowie die langdauernde Ruhe im Gewerbe der Methode der Buchdrucker das beste Zeugnis zu geben. Heute erscheint in der neuen Tarifvereinbarung mit einem Male die ganze Herrlichkeit zertrümmert. Statt außerordentliche wirtschaftliche Erfolge zu erreichen, haben sich die Buchdrucker bei all ihrer Zähigkeit, Ausdauer, Besonnenheit, Mäßigung, bei all dem glänzenden Stande der Organisation und der Kassen schließlich so unwürdige Bedingungen vom Kapital diktieren lassen, daß ein allgemeiner Entrüstungssturm durch die Reihen der sonst so kaltblütigen Gesellenschaft geht. Will man aber das Fiasko der, sagen wir, englischen Methode der Gewerkschaftspolitik in seiner wirklichen Tragweite richtig einschätzen, so muß man die neueste Tarifvereinbarung der deutschen Buchdrucker mit den jüngsten Errungenschaften der – russischen Buchdrucker vergleichen, die Früchte der jahrzehntelangen friedlichen Organisationsarbeit mit den Ergebnissen eines einzigen Jahres des Revolutionssturmes.

Die Gewerkschaft der Buchdrucker in Rußland ist ebenso jungen Datums wie die meisten russischen Gewerkschaften. Die denkwürdige Erhebung des Petersburger Proletariats am 22. Januar 1905 und die darauffolgende Serie gewaltiger Massenstreiks, die sämtliche Industriestädte und in jeder Stadt sämtliche Gewerbe ergriffen hatten, gab den Anstoß zu einem fieberhaften gewerkschaftlichen Kampfe auf allen Gebieten und im Zusammenhang damit auch zum gewerkschaftlichen Zusammenschluß, zur Gründung und zum Ausbau der Gewerkschaften. Mitten im politischen Kampfe, mitten unter Straßenschlachten, unter einem unaufhörlichen Platzregen von Verhaftungen, Gefängnisstrafen, Prozessen, Maßregelungen, mitten unter einer furchtbaren Arbeitslosigkeit und bei häufigen Schlächtereien seitens der Soldateska ging und geht der Ausbau der Gewerkschaften vor sich. In St. Petersburg trat die Gewerkschaft der Buchdrucker am 2. Juli 1905, in Moskau am 31. Oktober, in anderen Städten meistens im Sommer und im Herbst des gleichen Jahres ins Leben. Die Gewerkschaft trug, wie alle anderen in Rußland, den Stempel ihrer revolutionären Herkunft deutlich an der Stirne. In ihrem ganzen Wesen und in ihrer Tätigkeit blieb sie ihrer engen geistigen Verwandtschaft mit der Revolution und ihren politischen Aufgaben, der Sozialdemokratie und dem allgemeinen proletarischen Klassencharakter treu. In Moskau war der Generalstreik der Buchdrucker im Oktober 1905 der Ausgangspunkt

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