Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 18

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mindest ihre elementarsten Grundsätze, schon in Fleisch und Blut übergegangen, schon Eigentum der Volksmassen geworden sind, und andererseits die zaristische Regierung sich offen bemüht, diese Freiheit mit Gewalt zurückzunehmen, kann der Kampf nur noch um die Existenz der zaristischen Regierung geführt werden. Das bedeutet, daß sich der revolutionäre Kampf seinem eigentlichen, letzten Ziel nähert. Nicht in dem Sinne, daß die Frage schon in der allernächsten Zeit entschieden wird. Im Gegenteil, der Kampf kann und wird wahrscheinlich noch lange dauern. Aber er nähert sich dem Ziel, der entschiedenen Wende im Verhältnis zur zaristischen Regierung, seinem allernächsten Feind. In der ersten Phase der Revolution hat sich die revolutionäre Armee des Proletariats zunächst gesammelt und formiert. In der zweiten hat diese Armee die tatsächliche politische Freiheit erobert und die Herrschaft des Absolutismus tatsächlich vernichtet. Jetzt geht es schon darum, endgültig das aus dem Wege zu räumen, was von der zaristischen Regierung übriggeblieben ist: die Herrschaft der Gewalt, die der weiteren Entwicklung der politischen Freiheit im Wege steht.

Es genügt, über diese Etappen, diese allmähliche Entwicklung der Revolution nachzudenken, um zu verstehen, daß der allgemeine Streik allein dieses Mal die Frage nicht entscheiden konnte. Er konnte seine ganze Aufgabe im Januar erfüllen, als es um den ersten Akt der Klassengemeinsamkeit des Proletariats ging. Er konnte das Ziel auch im Oktober erreichen, als es darum ging, den Protest und die Verachtung für die Komödie des Zarismus auszudrücken, als es zu zeigen genügte, daß das arbeitende Volk die List und den Betrug der Regierung erkennt, damit der Betrug und die List von der Szene abtreten mußten wie ein verbrauchter Lumpen, wie die entdeckte falsche Spielkarte des Falschspielers.

Jetzt versucht die Regierung nicht mehr mit List, sondern ausschließlich mit Gewalt die ihr entrissene politische Freiheit zurückzunehmen. Es gibt keine Mißverständnisse noch Ausflüchte mehr, die Revolution und die Konterrevolution stehen sich mit offenem Visier gegenüber, der Anschlag der Regierung auf die Keime der politischen Freiheit ist eine offene Herausforderung zum letzten Kampf. Folglich kann die Frage nur noch durch die physische Kraft entschieden werden, die Antwort auf die Gewalt muß Gewalt sein, gegen die Anschläge der Regierung der allgemeine Aufstand und der Straßenkampf. Der allgemeine Streik wirkte und wird immer als der vollkommenste Ausdruck des Willens und des Bewußtseins der vordersten Reihen des revolutionären Proletariats und als Mittel zum Wecken des Bewußtseins und des Willens der noch unaufgeklärten Volks‑

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