Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 9

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gegen das Kapital entspricht – den revolutionären Massenstreik. Sie ist also nach Inhalt und Methoden ein ganz neuer Typus der Revolution. Formal bürgerlich-demokratisch, in ihrem Wesen proletarisch-sozialistisch, ist sie sowohl nach Inhalt wie Methoden eine Übergangsform von den bürgerlichen Revolutionen der Vergangenheit zu den proletarischen Revolutionen der Zukunft, in denen es sich bereits um die Diktatur des Proletariats und die Verwirklichung des Sozialismus handeln wird.

Dies ist sie nicht nur logisch, als ein bestimmter Typus, sondern auch historisch, als Ausgangspunkt eines bestimmten gesellschaftlichen Klassen-und Kräfteverhältnisses. Die Gesellschaft, die aus der so eigenartigen Revolution in Rußland hervorgehen wird, kann unmöglich jener ähneln, die aus den früheren Revolutionen im Westen nach 1848 hervorgegangen war. Die Macht, die Organisation, das Klassenbewußtsein des Proletariats werden in Rußland nach der Revolution so hoch entwickelt sein, daß sie den Rahmen einer „normalen“ bürgerlichen Gesellschaft auf Schritt und Tritt überschreiten werden. Bei gleichzeitiger Schwäche und Verzagtheit einer ihren Untergang fühlenden Bourgeoisie ohne jede politische und revolutionäre Vergangenheit wird das eine Kombination von Kräften ergeben, bei der das Gleichgewicht der bürgerlichen Klassenherrschaft fortwährend gestört wird. Es wird dies also gleichfalls eine neue Phase in der Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft eröffnen, die angesichts des mangelnden stabilen Gleichgewichts der Klassenverhältnisse fortwährende Stürme durchmachen wird, Stürme, die mit größeren oder geringeren Pausen, mit größerer oder geringerer Vehemenz doch keinen anderen Ausweg finden können als die soziale Revolution – die Diktatur des Proletariats.

Dies alles bezieht sich zunächst auf Rußland. Allein genau so, wie die Schicksale Rußlands und des gesamten Europas in den französischen Revolutionen durch die Schlachten auf dem Pariser Pflaster entschieden wurden, ebenso werden jetzt nicht nur die Geschicke der russischen Gesellschaft, sondern der ganzen kapitalistischen Welt auf den Straßen Petersburgs, Moskaus, Warschaus entschieden. Die Revolution in Rußland und das eigenartige gesellschaftliche Gebilde, das aus ihr hervorgehen wird, können nicht umhin, die Klassenverhältnisse auch in Deutschland und überall mit einem Ruck zu verschieben. Mit der russischen Revolution schließt die nahezu 60jährige Periode der ruhigen, parlamentarischen Herrschaft der Bourgeoisie. Mit der russischen Revolution geraten wir bereits in die Übergangsperiode von der kapitalistischen zur sozialistischen Gesellschaft. Wie lange diese Übergangsperiode dauern mag, ist

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