Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 86

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„Unfalls“ bei der Arbeit zum Invaliden wird, gewöhnlich mit seiner Familie dem Hunger preisgegeben. Ebenso furchtbar ist das Schicksal der Arbeiter, die alt werden. Der Kapitalist braucht für die Ausbeutung ständig frisches Menschenmaterial. Wenn ein Arbeiter im Dienste des Kapitals schon alt geworden ist und der Unternehmer sieht, daß der Proletarier im vorgerückten Alter die Kräfte verloren hat, so daß er beginnt, etwas zuwenig Profit einzubringen, so wirft er ihn ohne Erbarmen zum Tor hinaus. Woher der alte Arbeiter für sich und seine Familie das Brot nehmen soll, wenn ihn das Kapital nicht mehr beschäftigen will, darum kümmert sich heute niemand in der Gesellschaft. Ebenso sorgt sich niemand darum, wovon der Arbeiter den Unterhalt bestreiten soll, wenn ihn eine Krankheit für mehrere Wochen oder Monate aufs Krankenlager wirft. Die Kapitalisten selbst wollen die Arbeiter, die in ihrem Dienst Gesundheit und Kräfte verbraucht oder Gliedmaßen verloren haben und zu Krüppeln geworden sind, nicht vor dem Elend bewahren und werden das niemals freiwillig auf eigene Kosten tun. Das Kapital kennt gegenüber dem Arbeiter keine menschlichen Rücksichten, es erblickt in ihm nur das, was eine Spinne in der Fliege sieht: ein Opfer zum Aussaugen. Wenn der Unternehmer einmal die Säfte aus einem jungen und gesunden Arbeiter gesaugt hat, wirft er ihn auf die Straße wie einen abgenutzten Lappen. Infolgedessen sind die älteren Arbeiter, die der Willkür des Kapitals am meisten ausgesetzt sind, gewöhnlich am stärksten zur Nachgiebigkeit gegenüber der Tyrannei der Unternehmer geneigt, bereit, eher die größten Erniedrigungen zu ertragen, als Widerstand zu leisten, wodurch sie oftmals zu einem Hindernis im Kampf der Arbeiter werden. Um die gebrechlichen und alten Arbeiter vor der Wahl zwischen hoffnungslosem Elend und Demütigungen zu bewahren, fordert die Sozialdemokratie auch hier ein entsprechendes Gesetz zum Schutz der Werktätigen. Es ist die Pflicht des Staates, die Kapitalisten zu zwingen, wenigstens irgend etwas für die Kranken, die Verletzten und die gealterten Arbeiter zu tun. Die Sozialdemokratie fordert, daß eine obligatorische Versicherung aller in der Industrie, im Handel, im Hausdienst oder in der Landwirtschaft beschäftigten Männer und Frauen eingeführt wird, damit jeder Arbeiter und jede Arbeiterin im Krankheitsfalle eine gewisse Beihilfe erhalten, die ihnen für den Unterhalt und für ärztliche Hilfe ausreicht. Auf dem gleichen Wege muß für die Arbeiterinnen der Lebensunterhalt und ärztliche Hilfe während der Niederkunft gesichert werden. Im Falle einer Verletzung, durch die ein Arbeiter seine Erwerbsmöglichkeit gänzlich oder teilweise einbüßt, das heißt ein „Invalide“ wird, muß ihm eine ständige

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