Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 81

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Wenn die Regierungen und die Kapitalisten der Einführung des Achtstundentages mit solchem Widerstand entgegentreten, so tun sie das nicht sosehr aus der Befürchtung, daß das zu einer Schmälerung des Profits führen würde, als hauptsächlich deshalb, weil der allgemeine Achtstundentag die körperliche, geistige und gesellschaftliche Auferstehung der Arbeiterklasse bedeuten würde. Der Achtstundentag mit entsprechender Nacht- und Sonntagsruhe würde die Volksmassen von vielen Berufskrankheiten erlösen, von der Schwindsucht, dieser „Proletarierkrankheit“, vom frühzeitigen Tod, von einer Menge Unglücksfälle, die zu einem großen Teil die Folge der Ermüdung und Geistesabwesenheit des überanstrengten Arbeiters sind. Der Achtstundentag ist zugleich das sicherste Mittel gegen die Trunksucht der Arbeiter, wie in den australischen Kolonien festgestellt wurde, wo die Schankwirte am hartnäckigsten gegen die Einführung des Achtstundentages in den Fabriken agitieren. Ein Arbeiter, der genügend Zeit hat, um nach der Arbeit zu lesen, sich zu bilden, mit Frau und Kindern ein Familienleben zu führen, geht nicht in die Schenke. Bei einem kurzen Arbeitstag verschwinden unter den Arbeitern zusammen mit der Trunksucht auch die Fälle von Schlägereien, Messerstechereien und anderen Vergehen, die Moral und die Bildung werden höher. Gleichzeitig muß der achtstündige Arbeitstag in der Arbeiterklasse erhöhte materielle und geistige Bedürfnisse und Ansprüche erwecken, da der Arbeiter, der Freizeit für ein privates und gesellschaftliches Leben hat, sich nicht mit einer allzu elenden Wohnung und Kleidung zufriedengeben kann. Er spürt auch das Bedürfnis nach bestimmten Bequemlichkeiten und einer angenehmeren Gestaltung des Lebens, die für einen kulturvollen Menschen unentbehrlich sind. Indem er auf diese Weise den Lebensstandard der Arbeiter hebt, führt der Achtstundentag auch zur Erhöhung des allgemeinen Niveaus der Löhne, die im allgemeinen immer dem Lebensstandard der werktätigen Bevölkerung entsprechen müssen. Indem der Achtstundentag zugleich die Möglichkeit bietet, die gewerkschaftliche Organisation und den gewerkschaftlichen Kampf entsprechend zu entwickeln, bahnt er den Arbeitern auch den Weg dazu, von den Kapitalisten mindestens solche Löhne zu erzwingen und zu erhalten, die ihrem Lebensstandard entsprechen. Teilweise, besonders in der ersten Zeit nach seiner Einführung, verringert der achtstündige Arbeitstag die Arbeitslosigkeit, da er einer größeren Zahl von Arbeitern Beschäftigung gibt, besonders in denjenigen Berufen, wo die Hand- und nicht die Maschinenarbeit vorherrscht, vor allem also im Handwerk und in der Landwirtschaft. Endlich zwingt der Achtstundentag die Fabrikanten, die Arbeit

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