Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 68

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-2/seite/68

das gedruckte Wort zu bilden. Das Recht, an Parlamentswahlen teilzunehmen, wäre eitle Täuschung, wenn dieses Recht nicht die breitesten Möglichkeiten zur Wahlagitation garantieren würde – auf Volksversammlungen, durch Verbreitung von Schriften und Büchern, durch offene und freie Diskussion über alle Fragen des gesellschaftlichen Lebens –, wenn das Volk nicht auch die ständige Möglichkeit hätte, am politischen Leben des Landes teilzunehmen und auf Versammlungen und in Schriften die Handlungsweise des Parlaments und der Regierung zu kritisieren sowie seine Forderungen zu verkünden und sich zu deren Verteidigung in Verbindungen und Parteien zusammenzuschließen. Deshalb fordert die Sozialdemokratie die völlige und unbegrenzte Freiheit zur gegenseitigen Aufklärung mit Hilfe von Schriften und Büchern, auf Volksversammlungen durch die dort gehaltenen Reden sowie die völlige Freiheit der Vereinigung in Fach- und politischen Verbänden und, was darauf folgt, die volle Gewährleistung des Streikrechts. Unter der Herrschaft des zaristischen Despotismus entbehrten die Arbeiter schon von jeher diese Rechte am meisten. Die Kapitalisten und der Adel hatten und haben immer die Möglichkeit, sich zur Verteidigung ihrer Interessen in Vereinigungen zusammenzuschließen, das heißt zwecks Ausbeutung der Arbeiter und Ausplünderung der Öffentlichkeit. Die Industrieverbände, die kaufmännischen und landwirtschaftlichen Verbände, die Bergbauvereine berieten immer unter den Augen der zaristischen Polizei. Wenn die Besitzer der Kohlenbergwerke oder der Zuckerfabriken sich zu einem Syndikat zusammenschlossen und Verabredungen trafen zum Raubfeldzug gegen die gesamte Öffentlichkeit durch Verteuerung von Kohle und Zucker, legte ihnen die zaristische Regierung kein Hindernis in den Weg. Ebenso waren Zeitungen und Bücher, die dem werktätigen Volk feindlich gesinnt waren, Unwissenheit und Demoralisation verbreiteten, Haß gegen die Polen säten, gegen die Juden hetzten, niemals verboten. Sobald jedoch die Arbeiter sich zu Verbänden zusammenschlossen mit dem Ziel, ihr Dasein zu verbessern, dann schnüffelten die Gendarmen und die Polizei hinter ihnen her und verfolgten sie wie die größten Verbrecher. Auch Schriften und Broschüren, durch die sich die Arbeiter bildeten und die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Sozialismus upd der politischen Freiheit vermittelten, mußten jahrzehntelang heimlich gedruckt und verbreitet werden, denn für ihren Druck und ihre Verbreitung drohte Gefängnis, Sibirien und Zwangsarbeit. Aber nicht nur unter dem Absolutismus, sogar auch in Ländern mit politischen Freiheiten, wie in Deutschland, bemühen sich die herrschenden Klassen sosehr sie können, die Freiheit der Arbeiter, sich in Verbänden zu organisieren, einzuschrän‑

Nächste Seite »