Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 66

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Absolutismus vereinigte in sich in den letzten Jahrzehnten alle Merkmale einer kapitalistischen Herrschaft, das heißt der Herrschaft der Klasse der industriellen Ausbeuter, mit den Überresten aus den mittelalterlichen Zeiten der Adelsherrschaft. Trotz der Aufhebung der Leibeigenschaft blieb die Ungleichheit der verschiedenen Stände vor dem Gesetz bestehen. Ein Herr, der dem Adel angehört, wird vom zaristischen Recht anders behandelt als ein Bauer oder ein Arbeiter, und dieser Unterschied tritt überall zutage, von der Beteiligung an der örtlichen Selbstverwaltung, den Steuerlasten, dem Militärdienst bis zum Verbüßen einer Strafe im Gefängnis. Der Bauer zahlte im Zarismus besondere Steuern, von denen der Adel befreit war, dem Gesetz nach konnte er durch das Gericht oder im Militärdienst zu Prügelstrafe verurteilt werden, während der Adlige gesetzlich davor bewahrt war. Sogar im Gefängnis wird der Adlige nach einer Vorschrift des zaristischen Gesetzes anders behandelt und ernährt als der „einfache“ Mann. Diese Ungleichheit des Gesetzes und des Gerichts für die „Herren“ und für das Arbeitervolk ist noch eine Methode mehr zur Unterdrückung und Benachteiligung der arbeitenden Klassen und erschwert ihnen den Kampf für die völlige Befreiung.

Die Sozialdemokratie fordert im Namen der Interessen der Arbeiterklasse die völlige Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Abschaffung aller Standes- und Vermögensprivilegien. Das bedeutet, daß das Zivil- und Strafrecht, die Gerichte, die militärische Dienstpflicht und die politischen Rechte keinen Unterschied machen dürfen zwischen dem Adel und dem einfachen Volk, zwischen den Reichen und den Armen, sondern daß sie für alle Staatsbürger gleich sein müssen;

7. die Unantastbarkeit der Person und der Wohnung

Eine der ersten Bedingungen der politischen Freiheit ist auf der ganzen Welt die persönliche Freiheit des Staatsbürgers, das heißt die gesetzlich garantierte Sicherheit seiner Person und seiner Privatwohnung vor Gewalt und Willkür von seiten der Regierung. Um sich tatsächlich als freier Bürger eines Staates und Landes zu fühlen, muß jeder Mensch die Gewißheit haben, daß er sich in Ruhe seiner Arbeit, Erholung, seinem Privatleben oder einer politischen Tätigkeit widmen kann, ohne befürchten zu müssen, daß die Regierungs- oder Polizeigewalt ihn ohne richterliche Entscheidung aus diesen oder jenen Gründen willkürlich verhaften und einkerkern oder in seine Privatwohnung eindringen und alle Ecken durchstöbern kann. Unter der Herrschaft des selbstherrlichen Zaren kann kein Mensch jemals sicher sein, ob er nicht unverhofft von brutalen Bütteln der Polizei oder Gendarmerie verhaftet wird, denen er aus irgendeinem

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