Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 56

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auch in sozialökonomischer Beziehung von den anderen Teilen des Reiches unterscheidet, fordert die Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens außer der allgemeinen staatsbürgerlichen Gleichberechtigung aller Nationen die Landesselbstverwaltung, das heißt Autonomie, für Polen. Das würde bedeuten, daß alle Angelegenheiten, die speziell unser Land betreffen, vom Volk unseres Landes mit Hilfe eigener Beamter und eines eigenen Landesparlaments erledigt werden würden, das von der gesamten erwachsenen Bevölkerung in allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen gewählt werden müßte, und daß bei uns polnische Schulen, Gerichte und andere notwendige Institutionen eingeführt würden, die in ihrer Tätigkeit dem polnischen Sejm unterstehen.

Die Landesselbstverwaltung ist unerläßlich sowohl für die Garantie einer genügenden Freiheit der kulturellen Entwicklung unserer Nationalität als auch für die wirksamere Verteidigung der Klasseninteressen des polnischen Proletariats. Da das polnische Proletariat trotz nationaler Unterschiede nur ein Bestandteil der einen Arbeiterklasse im russischen Reiche darstellt, muß das polnische Proletariat vor allem mit den russischen Arbeitern gemeinsame politische Rechte und republikanische Freiheiten im ganzen Staat fordern, um sie gemeinsam im unermüdlichen Klassenkampf gegen die Ausbeutung und die Herrschaft der verbündeten polnischen und russischen Bourgeoisie zu nutzen. Aber in seinem täglichen ökonomischen Kampf und in den Alltagsfragen, die das polnische Proletariat unmittelbar betreffen, wie zum Beispiel in Fragen des Schulwesens, der Gerichtsbarkeit, der Verwaltung, des Spitalwesens, der örtlichen Wirtschaft (der Steuern und Ausgaben für Landesbedürfnisse), hat es auf Schritt und Tritt vor allem mit den örtlichen Elementen, mit seiner eigenen, einheimischen Bourgeoisie, dem Adel und dem Kleinbürgertum zu tun. Deshalb muß es auch das Recht und die Freiheit besitzen, die unerläßlich sind, auch hier auf Schritt und Tritt seine Klasseninteressen und zugleich die Interessen des ganzen Volkes und des Fortschritts im Kampf gegen die eigene, polnische Bourgeoisie zu verteidigen;

3. das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht

In der Republik wie auch in der konstitutionellen Monarchie werden die Gesetze vom Parlament, das heißt von der Versammlung der von der Bevölkerung gewählten Vertreter oder Abgeordneten, erlassen. Das Parlament setzt die Steuern und Zölle fest, die erhoben werden sollen. Ohne Einwilligung des Parlaments darf die Regierung keinen Pfennig aus der öffentlichen Kasse verausgaben. Das Parlament setzt die Gehälter der Minister, der höheren und der niederen Beamten fest. Das Parlament ent‑

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