als Kriegsfaktor und der proletarischen Macht als Friedensfaktor. Er kleidet aber in seinem hartnäckigen kleinbürgerlich-demokratischen Glauben an Gesetzesparagraphen auch diese Machtfaktoren in „konstitutionelle“ Formen: Insurrektion gegen den Krieg als „verfassungsmäßige Pflicht“ in einer Gesetzesvorlage formuliert, das ist wohl die originellste Blüte des Rechtsfanatismus auf sozialistischer Grundlage.
Dieser Rechtsfanatismus bleibt aber hier, wie gewöhnlich, nicht bloß eine äußerliche Schrulle bei wesensrichtigen Gedankengängen, er rächt sich an der Sache selbst, die er zur Karikatur verzerrt.
Bei Jaurès dient ja die „konstitutionelle“ Revolution selbst dazu, die verbrecherische Regierung an ihre Pflicht – an das Schiedsgericht anzuhalten. Welches internationale Schiedsgericht hat Jaurès im Auge? Das vom russischen Blutzaren geschaffene, von aller Welt verspottete, längst vergessene, verstaubte Kasperletheater im Haag![1] In allem Ernst schließt er sein Projekt mit dem Artikel 18, der also lautet:
„Die Regierung Frankreichs wird aufgefordert, unverzüglich mit allen Ländern in Unterhandlungen zu treten, die in dem Gericht zu Haag vertreten sind, um schiedsgerichtliche Abkommen zu treffen.“[2]
Der Haager Friedensgerichtshof als Eckstein der sozialistischen Politik – unwillkürlich möchte man das französische Wort ausrufen: Tant de bruit pour une omelette! (So viel Lärm um einen Eierkuchen!)
Wenn die deutsche Sozialdemokratie ihre Milizforderungen und die Entscheidung über Krieg und Frieden durch die Volksvertretungen propagiert, so täuscht sie sich nicht einen Augenblick darüber, daß der ganze Gang der modernen weltkapitalistischen Entwicklung ihre Forderungen wohl so lange unausführbar machen wird, bis das Proletariat zur Macht gelangt. Unsere Forderungen sollen die Richtung angeben, in der sich unsere Wünsche und die Interessen des Proletariats bewegen. Sich aber Illusionen hingeben, daß mit Rechtsformeln gegen Machtinteressen des Kapitalismus etwas auszurichten wäre, ist die schädlichste Politik, die das Proletariat treiben kann.
Leipziger Volkszeitung,
Nr. 130 vom 9. Juni 1911.
[1] Auf der „Friedenskonferenz“ in Den Haag 1899 war die Bildung eines Schiedsgerichtshofes zur Beilegung internationaler Streitigkeiten beschlossen worden.
[2] „Die Regierung Frankreichs wird aufgefordert, von nun an mit sämtlichen am Haager Schiedsgerichtshof vertretenen Staaten in Verhandlungen über vollständige (bedingungslose) Schiedsgerichtsverträge einzutreten und im Einvernehmen mit ihm das Schiedsgerichtsverfahren zu regeln.“ (Jean Jaurès: Die neue Armee, Jena 1913, S. 492.)