Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 492

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des öffentlichen Lebens derjenigen der herrschenden Klassen entgegenzustellen. Gebunden an parlamentarische Bedingungen, muß die Fraktion naturgemäß zu der Form von Interpellationen, Anträgen und dergleichen Zuflucht nehmen. Und da ist es zweifellos sehr verdienstlich von unsrer Reichstagsfraktion, daß sie die Gelegenheit ergriffen hat, um eine großzügige Debatte über die Frage des Militarismus einzuleiten und die Vertreter der herrschenden Klassen zur offenen Sprache zu zwingen. Die Formulierung des Antrags selbst, dessen sich die sozialdemokratischen Abgeordneten hierbei bedienen, spielt an sich eine ziemlich untergeordnete Rolle. Nicht in der Antragsformel, sondern in der Begründung des Antrags, in den dabei gehaltenen Reden unsrer Fraktion kommt der Standpunkt der Partei zum Ausdruck. Soll doch der parlamentarische Antrag oft nur der Haken sein, an den unsre Agitation auf der Reichstagstribüne notgedrungen gehängt wird.

Die eigentliche Frage also, die für weitere Kreise der Partei Bedeutung hat, ist die, ob unsre Partei in der von ihr herbeigeführten Debatte den grundsätzlichen Standpunkt der Sozialdemokratie klar und konsequent vertreten, ob sie durch diese Debatte dazu beigetragen hat, in den Massen die sozialdemokratische Auffassung vom Wesen des Militarismus und der kapitalistischen Gesellschaftsordnung zu verbreiten, um auf diese Weise für den Sozialismus gute Werbearbeit zu leisten.

Die Beantwortung dieser Frage hängt ganz davon ab, welche Seite man in unsrer Stellung zum Militarismus als die wichtigste und ausschlaggebende betrachtet. Würde der Standpunkt der Sozialdemokratie sich darin erschöpfen, der Welt bei jeder Gelegenheit vorzudemonstrieren, daß unsre Partei eine unbedingte Anhängerin des Friedens und glühende Gegnerin militärischer Rüstungen ist, während die Regierung die Schuld an dem militärischen Wettrüsten trägt, dann könnten wir mit unsrer Leistung bei der jüngsten Reichstagsdebatte vollauf zufrieden sein. Allein das wäre kaum ein genügendes Resultat der großen und wichtigen Aktion. Unsre Aufgabe besteht nicht bloß darin, die Friedensliebe der Sozialdemokratie jederzeit kräftig zu demonstrieren, sondern in erster Linie darin, die Volksmassen über das Wesen des Militarismus aufzuklären und den prinzipiellen Unterschied zwischen der Stellung der Sozialdemokratie und derjenigen der bürgerlichen Friedensschwärmer scharf und klar herauszuheben. Worin besteht aber dieser Unterschied? Gewiß nicht darin allein, daß die bürgerlichen Friedensapostel auf die Einwirkung schöner Worte lauern, während wir uns auf Worte allein nicht verlassen. Unser ganzer Ausgangspunkt ist ein diametral entgegengesetzter: Die Friedensfreunde

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