Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 489

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uns das Recht auf die Straße mit dem Polizeisäbel zu rauben[1], haben wir mit noch größeren und gewaltigeren Straßendemonstrationen zu antworten. (Beifall.) Wir müssen alles aufbieten, um die während des preußischen Wahlrechtskampfes eroberte Position bis auf den letzten Fußbreit zu besetzen. Die Straße gehört den Massen, die sie mit ihrem Blute und mit ihren Steuern gepflastert haben. (Beifall.) Die Straßendemonstrationen müssen zu einer normalen Erscheinung im öffentlichen Leben werden. Auf die Provokationen des Instruments des Himmels haben wir zu antworten mit der Forderung der Republik. Die Tatsache, daß das Gottesgnadentum der Hort aller volksfeindlichen Bestrebungen, der eifrigste Förderer von Militarismus und Marinismus und der persönliche Feind des Proletariats ist, müssen wir zur Erkenntnis der Massen machen und diese Dinge in den Vordergrund der Agitation für die nächsten Reichstagswahlen stellen. Die ganze Geschichte der Arbeiterklasse beweist uns, daß, je heftiger die Kämpfe sind, in die das Proletariat hineingetrieben wird, je größer die Opfer sind, die die Massen bringen müssen, desto stärker der Idealismus und die Begeisterung, womit die Massen kämpfen. Unsere große Kraft verdanken wir dem Umstande, daß vor uns das große Ziel des Sozialismus leuchtet, die Überwindung der herrschenden Klassen überhaupt, die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise und die Überführung der Produktionsmittel in die Hände der Allgemeinheit. Deshalb sind wir bis jetzt so stark gewesen.

Rednerin streift schließlich noch die Bedeutung der russischen Revolution.

Bei solchen Kämpfen hat es sich gezeigt, daß die reichsten Kassen der größten Gewerkschaften und der stärksten politischen Parteien sich zwar erschöpfen können, daß aber niemals versiegt der große goldene Schatz des Idealismus und der Opferbereitschaft der Massen, wenn das große völkerbefreiende Ziel des Sozialismus vor ihnen leuchtet. Für ihre Kämpfe gegen die herrschenden Klassen gilt noch heute das Wort, das Karl Marx den Herrschenden zugerufen hat: Alle euere Reden, alle euere Anschläge gegen das Proletariat werden an dem weltgeschichtlichen Vormarsch der Arbeiterklasse zerschellen wie Glas am Granit. (Stürmischer, anhaltender Beifall.)

Schwäbische Tagwacht (Stuttgart),

Nr. 242 vom 17. Oktober 1910.

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[1] Traugott von Jagow war von 1909 bis 1916 Polizeipräsident in Berlin. Berechtigt und für sein brutales Vorgehen gegen die Arbeiterklasse kennzeichnend war seine „Bekanntmachung“ vom 13. Februar 1910 zur Unterdrückung der Wahlrechtsbewegung in Berlin: „Es wird das ‘Recht auf die Straße’ verkündet. Die Straße dient lediglich dem Verkehr. Bei Widerstand gegen die Staatsgewalt erfolgt Waffengebrauch. Ich warne Neugierige.“ (Sozialdemokratische Partei-Correspondenz, 5. Jg. 1910, Berlin o. J., S. 74.)