Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 471

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so, wie es Marx prophezeit habe. Man sagte, die Konzentration des Kapitals geht nicht so vor sich, denn viele kleine Betriebe erhalten sich noch am Leben, und auf diese Weise habe das Proletariat durchweg nicht so rasch nötig, mit der kapitalistischen Herrschaft ein Ende zu machen, und – Parteigenossen – kaum war diese Ansicht ausgesprochen, kaum begann das große Werk der Revidierung der Marxschen Lehre, da kam das Leben selbst und zeigte – und zwar in so deutlicher Weise, daß selbst ein Blinder es sehen mußte –, zeigte, daß in Deutschland die kapitalistische Entwicklung gewissermaßen nach Marxschen Voraussetzungen in glänzender Weise bestätigte, was unsere Lehre vorausgesagt hatte. Nirgends so wie in Deutschland hat sich gerade im letzten Jahre das Kapital in dieser Übermacht gegenüber dem Proletariat zu einer gewaltigen Macht zusammengeballt.

Nirgends so wie in Deutschland, und speziell hier im westlichen Industriegebiet. Blicken Sie nur auf die wichtigsten Industriezweige. Überall ist fast das gesamte Kapital, die gesamte Macht über die Produktionsmittel konzentriert in wenigen Händen, in Kartellen, die allmächtig das ganze Gebiet beherrschen. Dasselbe bezieht sich auf die Kohlenindustrie, auf die Eisenindustrie, dasselbe bezieht sich in der letzten Zeit auf die Textilindustrie. Was bedeutet die Entwicklung der Kartelle gegen die Arbeiterschaft? Vor einigen Jahren hat der deutsche Reichstag eine besondere Enquête, eine Untersuchung über das Wesen und die Natur der deutschen Kartelle eingerichtet. Es waren die Vertreter der verschiedenen Kartelle, die Großmagnaten, zusammenberufen, und sie mußten auf verschiedene ihnen gestellte Fragen den Vertretern des Reichstages und der Reichsregierung Antwort geben. Eine unter diesen Fragen lautete: Wie stellen sich die deutschen Kartelle der Großindustrie zu den Arbeiterfragen, welchen Einfluß nehmen sie auf die Gestaltung der Arbeitsbedingungen? Darauf antworteten die Herren Vertreter der Kartelle und namentlich der Herr Kirdorf aus Gelsenkirchen mit Entrüstung: Die Kartelle mischen sich absolut nie ein in die Arbeiterverhältnisse. Die Arbeitsbedingungen gehen die Kartelle durchaus nichts an. Unser Vertreter, der Reichstagsabgeordnete Molkenbuhr, hat darauf damals schon den Herren ins Gesicht gesagt, daß sie es mit der Wahrheit ein bißchen auf die leichte Schulter genommen haben bei dieser Erklärung. Und sogar Professor Schmoller, ein durchaus konservativer Mann, erklärte, er könne es nicht glauben, daß die Kartelle ihre Macht nicht dazu ausnutzen, um auf die Arbeitsbedingungen irgendeinen Druck auszuüben. Aber, Parteigenossen, werte Anwesende, wenn es irgendeines Beweises bedurfte, daß die Kar-

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