Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 459

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da müssen wir den Massen, die wir zur Demonstration auf die Straße rufen, von vornherein die klare, ruhige Sicherheit geben: Ihr seid nicht wehrlos den frivolen Provokationen der säbelfuchtelnden Reaktion preisgegeben, wir haben ein Mittel, um im äußersten Falle auf die Provokation zu antworten, und dieses Mittel ist wiederum die Arbeitsverweigerung, der politische Massenstreik. Parteigenossen! Gegenwärtig erleben wir eine Pause im Wahlrechtskampf, deshalb ist gewissermaßen die Aktualität aller dieser Fragen, aller dieser Losungen ein wenig zurückgetreten. Aber ich hoffe, wir werden bald ein machtvolles Wiederaufleben des preußischen Wahlrechtskampfes erleben. Ich hoffe und erwarte, daß unser Referent in seinem Schlußwort den machtvollen Ruf ertönen läßt, den ich bis jetzt noch in seinem Referat[1] vermißt habe, und daß bei der ersten möglichen Gelegenheit der preußische Wahlrechtskampf noch machtvoller als bisher auflodert. Sobald dies geschehen wird, werden alle diese Fragen in ihrer ganzen Lebendigkeit ebenso vor uns stehen, wie sie im vergangenen Frühling gestanden sind. Wir wissen alle, daß in den leitenden Kreisen unserer Partei und namentlich unserer Gewerkschaften eine starke Abneigung dagegen besteht, daß man die Frage des Massenstreiks namentlich während des Wahlrechtskampfes öffentlich erörtert. Die Befürchtungen ergeben sich aus der Auffassung, als ob es genügen würde, vom Massenstreik in Versammlungen und in der Presse zu reden, damit ein Massenstreik über Nacht ausbricht, ob er gelegen oder ungelegen kommt. Diese Auffassung geht dahin, daß man die Erörterung der Frage des Massenstreiks, die Propaganda des Massenstreiks gewissermaßen als ein Spielen mit dem Feuer auffaßt. Parteigenossen, es ist notwendig, es ist die höchste Zeit, daß sich alle bei uns darüber klarwerden, daß diese Auffassung vom Massenstreik total verfehlt ist, und eine der Aufgaben unseres Antrages ist, über diese Auffassung volle Klarheit zu schaffen, die Befürchtungen, als ob die Erörterung der Frage des Massenstreiks allein künstlich – gelegen oder ungelegen – den Massenstreik provozieren könnte, zu beseitigen. Diese Auffassung müssen wir überwinden, wie die anarchistische Auffassung vom Generalstreik, der jene entspricht, längst begraben ist. Ein politischer Massenstreik ist nicht eine Erscheinung, die man künstlich dadurch heraufbeschwören könnte, daß man von ihr redet oder diese Waffe propagiert. Ein politischer Massenstreik kann nur entstehen aus historischen Bedingungen; aus der Reife der politischen und wirtschaftlichen Situation kann sich ein Massenstreik ergeben, und wenn irgend etwas Ihnen beweist, daß man ins unendliche vom Massenstreik reden

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[1] Das Referat und Schlußwort zur Wahlrechtsdebatte hatte Hermann Borgmann gehalten.