Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 444

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Ich will davon absehen, daß hier nur von Verständigen, nicht von Agitieren die Rede ist. Auf jeden Fall muß man nach diesem Zitat annehmen, unter ‚allen diesen Sachen‘ verstehe Engels die Republik. Aber der Schein trügt. Diesen trügerischen Schein fabriziert Rosa Luxemburg dadurch, daß sie aus einem Absatz von ungefähr einer Druckseite, in dem ‚diese Sachen‘ erörtert werden, nur ein Wort, ein einziges Wort zitiert: einheitliche Republik! In Wirklichkeit erörtert Engels dort die Frage der Konstituierung Deutschlands, die Fragen der Kleinstaaterei, der Reservatrechte, des Partikularismus, worunter ihm als der gefährlichste der preußische erscheint, des Bundesstaats und Einheitsstaats. Letzteren müßten wir anstreben. ‚Für Deutschland wäre die föderalistische Verschweizerung ein enormer Rückschritt ... also einheitliche Republik.‘ Aber nicht nach französischem Muster. Kein Bürokratenstaat, sondern weitestgehende Selbstverwaltung der Provinzen und Gemeinden.

Das waren die Fragen, die zu diskutieren Engels für notwendig hielt, weil sie ‚von heute auf morgen brennend werden können, wenn wir sie nicht diskutiert und uns nicht darüber verständigt haben‘. Von alledem zitiert Genossin Luxemburg nur das in der Mitte des Absatzes stehende Wort Republik und behauptet, unter ‚allen diesen Sachen‘ habe Engels die Republik verstanden. Das ist doch etwas – nun, seien wir galant, und sagen wir: kühn.

Mir wirft sie vor, ich hätte diese Stelle zu flüchtig gelesen, nicht ‚reiflich überlegt‘. Hat sie sie ‚reiflich‘ überlegt, ehe sie an ihre Zurichtung ging, dann um so schlimmer.

Der Gedanke, der Engels durch die Zurechtrichtung des Zitats von Genossin Luxemburg unterschoben wurde, lag ihm ganz fern. Im Jahre 1891, als er ihn niederschrieb, glänzten noch nicht die Quessel, Kolb und Frank am Parteihimmel, und es galt für selbstverständlich, daß jeder Sozialdemokrat Republikaner war. Es wäre Engels nie eingefallen, es zu betonen, daß wir uns über die Frage der Republik ‚verständigen‘ müßten. Wohl aber über die Fragen des Partikularismus und des Einheitsstaats.“[1]

Es ist also klar: die „Zurechtrichtung“ des Engelsschen Zitats durch mich soll darin bestehen, daß ich Engels die Ansicht imputierte, es sei notwendig, über die Republik sich zu verständigen, während Engels – wie Genosse Kautsky aufdeckt – lediglich die Verständigung über die Fragen des Partikularismus und des Einheitsstaats für nötig hielt. Über die Republik sich zu verständigen, dies lag ihm „ganz fern“ und „wäre ihm nie eingefallen“.

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[1] Ebenda, S. 655.