Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 359

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Umwälzung und in einem langen, zähen täglichen Klassenkampf die Vorbereitung des Proletariats zu seiner Mission bei dieser Umwälzung erreicht werden könne. „Die Zeit der Überrumpelungen, der von kleinen bewußten Minoritäten an der Spitze bewußtloser Massen durchgeführten Revolutionen ist vorbei. Wo es sich um eine vollständige Umgestaltung der gesellschaftlichen Organisation handelt, da müssen die Massen selbst mit dabei sein, selbst schon begriffen haben, worum es sich handelt, für was sie eintreten sollen. Das hat uns die Geschichte der letzten fünfzig Jahre gelehrt. Damit aber die Massen verstehen, was zu tun ist, dazu bedarf es langer, ausdauernder Arbeit, und diese Arbeit ist es gerade, die wir jetzt betreiben, und das mit einem Erfolg, der die Gegner zur Verzweiflung bringt.“[1] Und nun hebt Engels als hervorragendste Waffe in diesem Sinne – die Benutzung des allgemeinen Stimmrechtes hervor. „Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus.“[2] Auf der anderen Seite zeigt Engels, wie sich gleichzeitig die Chancen für revolutionäre Überrumpelungen alten Stils auch äußerlich verschlechtert hätten. „Denn auch hier hatten sich die Bedingungen des Kampfes wesentlich verändert. Die Rebellion alten Stils, der Straßenkampf mit Barrikaden (Hervorhebung – R. L.), der bis 1848 überall die letzte Entscheidung gab, war bedeutend veraltet.“[3] Nachdem Engels die militärtechnische Seite des Barrikadenkampfes in den modernen Bedingungen beleuchtet hat, sagt er: „Dies Wachstum (der deutschen Sozialdemokratie, wie sie es dank der Ausnutzung des allgemeinen Wahlrechtes aufweist – R. L.) ununterbrochen in Gang zu halten, bis es dem herrschenden Regierungssystem von selbst über den Kopf wächst, das ist unsere Hauptaufgabe. Und da ist nur ein Mittel, wodurch das stetige Anschwellen der sozialistischen Streitkräfte in Deutschland momentan aufgehalten und selbst für einige Zeit zurückgeworfen werden könnte: ein Zusammenstoß auf großem Maßstab mit dem Militär, ein Aderlaß wie 1871 in Paris.“[4] Daher sucht die verzweifelte Bourgeoisie uns zu einem solchen zu verleiten. Beweis: die Umsturzvorlage.[5]

Dies das „politische Testament“ von Friedrich Engels, wie es vor fünfzehn Jahren im Moment, wo die Zuchthausvorlage[6] erschien, veröffent-

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[1] Ebenda, S. 523.

[2] Ebenda, S. 519.

[3] Ebenda.

[4] Ebenda, S. 524.

[5] Am 6. Dezember 1894 hatte die Regierung im Reichstag den „Entwurf eines Gesetzes, betr. Änderungen und Ergänzungen des Strafgesetzbuches, des Militärstrafgesetzbuches und des Gesetzes über die Presse eingebracht. Diese sogenannte Umsturzvorlage sollte die Unterdrückungspolitik gegen die Sozialdemokratie gesetzlich sanktionieren. Angesichts der Massenproteste, besonders des energischen Kampfes der Sozialdemokratie, wurde die Vorlage in zweiter Lesung am 11. Mai 1895 im Reichstag abgelehnt.

[6] Am 20. Juni 1899 hatte die Regierung im Reichstag einen Gesetzentwurf „zum Schutz der gewerblichen Arbeitsverhältnisse, die sogenannte Zuchthausvorlage, eingebracht, die sich gegen die zunehmende Streikbewegung richtete und die Beseitigung des Koalitions- und Streikrechts der Arbeiter bezweckte. Auf Grund gewaltiger Massenaktionen konnte diese Vorlage am 20. November 1899 im Reichstag gegen die Stimmen der Konservativen zu Fall gebracht werden.