Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 302

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-2/seite/302

Geschichte des französischen Sozialismus so verhängisvoll waren und bis heute noch geblieben sind. In Deutschland wurde der proletarische Kampf von Anfang an konsequent und entschlossen nicht gegen diese oder jene Formen und Auswüchse des Klassenstaates im einzelnen, sondern gegen den Klassenstaat als solchen gerichtet, er zersplitterte nicht im Antimilitarismus, Antimonarchismus und anderen kleinbürgerlichen „Ismen“, sondern gestaltete sich stets zum Antikapitalismus, zum Todfeind der bestehenden Ordnung in allen ihren Auswüchsen und Formen, ob unter monarchischem oder republikanischem Deckmantel. Durch vierzig Jahre dieser gründlichen Aufklärungsarbeit ist es dann auch gelungen, die Überzeugung zum ehernen Besitz der aufgeklärten Proletarier in Deutschland zu machen, daß die beste bürgerliche Republik nicht weniger ein Klassenstaat und Bollwerk der kapitalistischen Ausbeutung ist als eine heutige Monarchie und daß nur die Abschaffung des Lohnsystems und der Klassenherrschaft in jeglicher Gestalt, nicht aber der äußere Schein der „Volksherrschaft“ in der bürgerlichen Republik die Lage des Proletariats wesentlich zu verändern vermag.

Allein, gerade weil in Deutschland den Gefahren republikanisch-kleinbürgerlicher Illusionen durch die vierzigjährige Arbeit der Sozialdemokratie so gründlich vorgebeugt worden ist, können wir heute ruhig dem obersten Grundsatz unseres politischen Programms in unserer Agitation mehr von dem Platz einräumen, der ihm von Rechts wegen gebührt. Durch die Hervorhebung des republikanischen Charakters der Sozialdemokratie gewinnen wir vor allem eine Gelegenheit mehr, unsere prinzipielle Gegnerschaft als einer Klassenpartei des Proletariats zu dem vereinigten Lager sämtlicher bürgerlicher Parteien in greifbarer, populärer Weise zu illustrieren. Der erschreckende Niedergang des bürgerlichen Liberalismus in Deutschland äußert sich ja unter anderem besonders drastisch in dem Byzantinismus vor der Monarchie, in dem das liberale Bürgertum noch das konservative Junkertum um einige Nasenlängen schlägt.

Doch nicht genug. Die ganze Lage der inneren wie der äußeren Politik Deutschlands in den letzten Jahren weist auf die Monarchie als den Brennpunkt oder zum mindesten die äußere, sichtbare Spitze der herrschenden Reaktion hin. Die halbabsolutistische Monarchie mit dem persönlichen Regiment bildet zweifellos seit einem Vierteljahrhundert und mit jedem Jahre mehr den Stützpunkt des Militarismus, die treibende Kraft der Flottenpolitik, den leitenden Geist der weltpolitischen Abenteuer, wie sie den Hort des Junkertums in Preußen und das Bollwerk der Vorherrschaft der politischen Rückständigkeit Preußens im ganzen Reiche

Nächste Seite »