auch diesmal verstanden: Auch durch sie ging eine „Bewegung“, ein Strom belebenden Glaubens und der Sicherheit, nicht jener Sicherheit eines Wucherers, der mit seinem Schuldschein in den dürren Fingern auf den Verfallstermin des Versprechens mit Hartnäckigkeit pocht, sondern jener Sicherheit des revolutionären Idealismus, der zu allen Opfern und Mühen, ohne sie zu zählen und zu messen, bereit ist, wenn er nur das leuchtende Endziel unverrückbar in jedem Moment vor den Augen sieht.
Dank diesem festen sozialistischen Glauben, einem Glauben, der nicht Religion, nicht Herzenssache, sondern die reife Frucht einer in gründlichen Studien gewonnenen wissenschaftlichen Überzeugung ist, vermochte Bebel in allen Wechselfällen der Parteigeschichte ihr wegweisender Kompaß zu sein.
Das Sozialistengesetz kam und mit ihm eine Periode der Verwirrung in der Organisation und in den Geistern. Manche von den überlegenen Rechenmeistern, die sich von der Schwäche des Prophezeiens frei hielten und nachmals die Prophetengabe Bebels belächeln sollten, verloren damals die Orientierung. In der noch jungen und schwachen, durch den brutalen Anprall der Reaktion im ersten Augenblick zerschmetterten Partei machte sich eine gefährliche Strömung geltend, die den schroffen revolutionären Klassenstandpunkt am liebsten preisgeben und an seiner Stelle allerlei verschwommenen und verwässerten Bourgeoissozialismus predigen wollte. An der Spitze derjenigen, die gegen diese Gefahr sofort energisch Front machten, stand abermals Bebel. „Bebel ist von den Führern derjenige, der sich auch in dieser Sache am besten benommen“, schrieb im Jahre 1882 Friedrich Engels an Sorge. „Diese Leute“, schrieb er weiter über die Viereck und andere[1], „möchten um jeden Preis das Sozialistengesetz durch Milde und Sanftmut, Kriecherei und Zahmheit wegbetteln, weil es mit ihrem literarischen Erwerb kurzen Prozeß macht.“[2] Dem Kriechen und der Zahmheit wurde alsbald das Handwerk gelegt, und bald stand die Partei in jener stolzen und schroffen Kampfposition, welche den Schlußworten Bebels im Reichstag entsprach, die er den Schöpfern des Schandgesetzes ins Gesicht schleuderte, als er im Jahre 1881
[1] Louis Viereck, Wilhelm Blos, Bruno Geiser und Karl Höchberg, führende Vertreter des rechten Flügels der deutschen Sozialdemokratie, hatten in ihrer publizistischen Tätigkeit den Verzicht der Sozialdemokratie auf ihren proletarischen Klassencharakter und ihre Umwandlung in eine kleinbürgerliche Reformpartei gefordert. Auf dem Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in St. Gallen 1887 wurden Viereck und Geiser aller Vertrauensämter in der Partei enthoben.
[2] Engels an Friedrich Adolph Sorge am 20. Juni 1882. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke. Bd. 35, Berlin 1967, S. 333.