Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 244

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sisch-englischen Abmachungen in einer orgiastischen Niedermetzelung der persischen Aufständischen zur Wiederherstellung des Absolutismus auch in Persien Ausdruck findet.

Es ist klar, daß angesichts dessen die elementarste Pflicht der Sozialisten und Proletarier aller Länder darin besteht, mit aller Macht den Bündnissen mit dem konterrevolutionären Rußland entgegenzuarbeiten, das Prestige, den Einfluß, die internationale Position des heutigen Stolypinschen Rußlands nach Kräften zu untergraben, die reaktionäre, freiheitsmordende Tendenz dieser Bündnisse in Rußland wie im internationalen Leben unermüdlich und laut zu denunzieren.

Es ist klar, daß umgekehrt die Unterstützung der Bündnisse mit dem heutigen Rußland durch die moralische Autorität der Sozialisten Westeuropas, der Bündnisse über die Leichen der Hingerichteten und Niedergemetzelten, über die eisernen Ketten der im Zuchthaus schmachtenden sozialdemokratischen Dumafraktion[1], über die Qualen der Zehntausende eingekerkerter Revolutionäre hinweg, daß diese Unterstützung ein Verrat an der Sache der Revolution ist.

Wie soll man also Ihre Befürwortung der franko-russischen und der anglo-russischen Herzensbündnisse verstehen, Genosse Jaurès?

Wie soll man sich erklären, daß Sie „mit leidenschaftlichem Eifer“ daran arbeiten, die Regierung des blutigen Henkers der russischen Revolution und des persischen Aufstandes zum einflußreichen Faktor der europäischen Politik, den russischen Galgen zum Pfeiler des internationalen Friedens zu machen – Sie, der Sie seinerzeit die glänzendsten Reden gegen die Anleihe an Rußland in der französischen Kammer gehalten, der Sie erst vor wenigen Wochen den erschütternden Appell an die öffentliche Meinung gegen die blutige Arbeit der Feldkriegsgerichte in Russisch-Polen[2] in Ihrer „Humanité“ veröffentlicht haben? Wie soll man Ihre Friedenspläne, die auf dem franko-russischen und anglo-russischen Bündnis beruhen, mit dem jüngsten Protest der französischen sozialistischen Kammerfraktion wie der Administrativen Kommission des Nationalrats der Sozialistischen Partei gegen die Reise Fallières’[3] nach Rußland in Einklang

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[1] Die sozialdemokratische Fraktion der II. Reichsduma war unter der Beschuldigung, eine Verschwörung eingeleitet zu haben, am 3. Juni 1907 verhaftet worden.

[2] Russisch-Polen, Kongreßpolen, Königreich Polen: Im Ergebnis der drei Teilungen Polens von 1772, 1793 und 1795 waren die Westgebiete an Preußen und Galizien samt Krakau an Österreich gegangen, das sogenannte „Kongreßpolen“ bzw. „Königreich Polen«“ wurde auf dem Wiener Kongreß von 1815 in Personalunion mit Rußland verbunden. Nach dem niedergeschlagenen polnischen Aufstand von 1863 behandelten die zaristischen Behörden jedoch die annektierten polnischen Gebiete nicht mehr weiter als »Königreich«, sondern als bloße Provinzen, die sie administrativ aufspalteten. Die Bezeichnung „Polen“ wurde verboten und nur noch vom „Weichselland“ gesprochen. Zugleich wurde eine Politik der „Russifizierung“ verfolgt. – Im Ausland galt »Kongreßpolen« weiterhin als Synonym für den russisch besetzten Teil Polens. Rosa Luxemburg und Leo Jogiches hingegen zogen den Begriff vom 1867 aufgelösten »Königreich Polen« vor, der einerseits die Gleichberechtigung Polens gegenüber Rußland betonte, andererseits die Unabhängigkeit von den Signatarmächten des Wiener Kongresses – „Kongreßpolen“ – signalisierte. Dementsprechend nannten sie ihre 1893 gegründete Partei „Sozialdemokratie des Königreiches Polen“ (SDKP). 1900 wurde daraus die „Sozialdemokratie des Königreiches Polen und Litauens“ (SDKPiL).

[3] A. Fallières, seit 1906 Präsident Frankreichs, kam am 27. und 28. Juli 1908 mit dem Zaren in Reval zusammen, um das russisch-französische Bündnis zu bekräftigen.