Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 208

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wärtig in größerer Anzahl in den Reichstag eingezogen sind, stellen sie jetzt doch nur traurige, mit einem liberalen Aushängeschild maskierte Lakaien der Reaktion dar.

Und im Zusammenhang mit diesem Umstand tauchte in unseren Reihen eine Frage auf, die in noch höherem Grade auch Euch, russische Genossen, beschäftigt. Soweit mir bekannt ist, ist einer der Ausgangspunkte, die die Hauptrolle bei der Festlegung der Taktik der russischen Genossen spielen, die Auffassung, daß das Proletariat in Rußland vor einer ganz besonderen Aufgabe stehe, die einen gewissen inneren Widerspruch darstellt, und zwar die Aufgabe, erst die ersten politischen Bedingungen der bürgerlichen Ordnung zu schaffen und gleichzeitig den Klassenkampf gegen die Bourgeoisie zu führen. Diese Lage scheint sich grundlegend von der Lage des Proletariats bei uns in Deutschland und in ganz Westeuropa zu unterscheiden.

Genossen! Ich glaube, eine solche Auffassung ist eine rein formalistische Fragestellung. In gewissem Grade befinden auch wir uns in einer ebenso schwierigen Lage. Bei uns in Deutschland zeigten dies gerade die letzten Wahlen in anschaulicher Weise – das Proletariat ist zwangsläufig der einzige Kämpfer und Verteidiger der demokratischen Formen des bürgerlichen Staates.

Ganz zu schweigen davon, daß es bei uns in Deutschland kein allgemeines Wahlrecht für die Mehrheit der Landtage gibt, daß wir unter einer Menge von Überresten des mittelalterlichen Feudalismus leiden müssen, ja, auch die wenigen Freiheiten, die wir besitzen, wie das allgemeine Wahlrecht bei den Wahlen in den Reichstag, das Streik-, Koalitions- und Versammlungsrecht, sind nicht wirklich gesichert und sind ständigen Anschlägen seitens der Reaktion unterworfen. Und in allen diesen Fragen ist der bürgerliche Liberalismus ein absolut unzuverlässiger Verbündeter, in allen diesen Fällen ist das bewußte Proletariat die einzige feste Stütze der demokratischen Entwicklung in Deutschland.

Im Zusammenhang damit hat der Mißerfolg bei den letzten Wahlen die Frage unseres Verhältnisses zur liberalen Bourgeoisie erneut auf die Tagesordnung gestellt. Es wurden allerdings sehr wenige Stimmen laut, die den vorzeitigen Untergang des Liberalismus bejammerten. Im Zusammenhang damit wurde uns aus Frankreich der Rat gegeben, in unserer Taktik die schwache Position des bürgerlichen Liberalismus zu berücksichtigen und gegenüber seinen Überresten Nachsicht zu üben, um ihn als Verbündeten im Kampfe gegen die Reaktion und zur Verteidigung der allgemeinen Grundlagen einer demokratischen Entwicklung auszunutzen.

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