Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 157

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proletarischen in eine kleinbürgerliche Reformpartei umwandeln will.[1] Wollte die Sozialdemokratie die Theorie von der „Gleichberechtigung“ der Gewerkschaften akzeptieren, so würde sie damit in indirekter Weise und stillschweigend jene Verwandlung akzeptieren, die von den Vertretern der opportunistischen Richtung längst angestrebt wird.

Indes ist in Deutschland eine solche Verschiebung des Verhältnisses innerhalb der Arbeiterbewegung unmöglicher als in irgendeinem anderen Lande. Das theoretische Verhältnis, wonach Gewerkschaften bloß ein Teil der Sozialdemokratie sind, findet gerade in Deutschland seine klassische Illustration in den Tatsachen, in der lebendigen Praxis, und zwar äußert sich dies nach drei Richtungen hin. Erstens sind die deutschen Gewerkschaften direkt ein Produkt der Sozialdemokratie; sie ist es, die die [ersten] Anfänge der[2] Gewerkschaftsbewegung in Deutschland geschaffen hat, sie ist es, die sie großgezogen, sie liefert bis auf heute ihre Leiter und

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[1] Da das Vorhandensein einer solchen Tendenz innerhalb der deutschen Sozialdemokratie gewöhnlich geleugnet wird, so muß man die Offenherzigkeit begrüßen, mit der die opportunistische Richtung neulich ihre eigentlichen Ziele und Wünsche formuliert hat. In einer Parteiversammlung in Mainz am 10. September d. J. wurde folgende von Dr. David vorgelegte Resolution angenommen:

„In der Erwägung, daß die Sozialdemokratische Partei den Begriff ‚Revolution‘ nicht im Sinne des gewaltsamen Umsturzes, sondern im friedlichen Sinne der Entwicklung, d. h. der allmählichen Durchsetzung eines neuen Wirtschaftsprinzips, auffaßt, lehnt die Mainzer öffentliche Parteiversammlung jede ‚Revolutionsromantik‘ ab.

Die Versammlung sieht in der Eroberung der politischen Macht nichts anderes als die Eroberung der Mehrheit des Volkes für die Ideen und Forderungen der Sozialdemokratie; eine Eroberung, die nicht geschehen kann mit gewaltsamen Mitteln, sondern nur durch die Revolutionierung der Köpfe auf dem Wege der geistigen Propaganda und der praktischen Reformarbeit auf allen Gebieten des politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens.

In der Überzeugung, daß die Sozialdemokratie weit besser gedeiht bei den gesetzlichen Mitteln als bei den ungesetzlichen und dem Umsturz, lehnt die Versammlung die ‚direkte Massenaktion‘ als taktisches Prinzip ab und hält an dem Prinzip der parlamentarischen Reformaktion fest, d. h., sie wünscht, daß die Partei nach wie vor ernstlich bemüht ist, auf dem Wege der Gesetzgebung und der organischen Entwicklung allmählich unsere Ziele zu erreichen.

Die fundamentale Voraussetzung dieser reformatorischen Kampfesmethode ist freilich, daß die Möglichkeit der Anteilnahme der besitzlosen Volksmasse an der Gesetzgebung im Reiche und in den Einzelstaaten nicht verkürzt, sondern bis zur vollen Gleichberechtigung erweitert wird. Aus diesem Grunde hält es die Versammlung für ein unbestreitbares Recht der Arbeiterschaft, zur Abwehr von Attentaten auf ihre gesetzlichen Rechte sowie zur Erringung weiterer Rechte, wenn alle anderen Mittel versagen, auch die Arbeit für kürzere oder längere Dauer zu verweigern.

Da der politische Massenstreik aber nur dann siegreich für die Arbeiterschaft durchgeführt werden kann, wenn er sich in streng gesetzlichen Bahnen hält und seitens der Streikenden kein berechtigter Anlaß zum Eingreifen der bewaffneten Macht geboten wird, so erblickt die Versammlung die einzig notwendige und wirksame Vorbereitung auf den Gebrauch dieses Kampfmittels in dem weiteren Ausbau der politischen, gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Organisation. Denn nur dadurch können die Voraussetzungen in der breiten Volksmasse geschaffen werden, die den erfolgreichen Verlauf eines Massenstreiks garantieren: zielbewußte Disziplin und einen geeigneten wirtschaftlichen Rückhalt.“ [Fußnote im Original]

[2] 1. Auflage: eingefügt „jetzigen“.