Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 2, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2004, S. 121

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-2/seite/121

So hat der vom Januargeneralstreik ausgehende große ökonomische Kampf, der von da an bis auf den heutigen Tag nicht aufhört, einen breiten Hintergrund der Revolution gebildet, aus dem sich in unaufhörlicher Wechselwirkung mit der politischen Agitation und den äußeren Ereignissen der Revolution immer wieder bald hier und da einzelne Explosionen, bald allgemeine, große Hauptaktionen des Proletariats erheben. So flammen auf diesem Hintergrund nacheinander auf: am 1. Mai 1905 zur Maifeier ein beispielloser absoluter Generalstreik in Warschau mit einer völlig friedlichen Massendemonstration, die in einem blutigen Renkontre der wehrlosen Menge mit den Soldaten endet. Im Juni führt in Lódz ein Massenausflug, der von Soldaten zerstreut wird, zu einer Demonstration von 100 000 Arbeitern auf dem Begräbnis einiger Opfer der Soldateska, zu erneutem Renkontre mit dem Militär und schließlich zum Generalstreik, der am 23., 24. und 25. in den ersten Barrikadenkampf im Zarenreiche übergeht. Im Juni gleichfalls explodiert im Odessaer Hafen aus einem kleinen Zwischenfall an Bord des Panzerschiffes „Potjomkin“[1] die erste große Matrosenrevolte der Schwarzmeerflotte, die sofort als Rückwirkung in Odessa und Nikolajew einen gewaltigen Massenstreik hervorruft. Als weiteres Echo folgen: der Massenstreik und Matrosenrevolten in Kronstadt[2], Libau[3], Wladiwostok[4].

In den Monat Oktober fällt das grandiose Experiment Petersburgs mit der Einführung des Achtstundentags. Der Rat der Arbeiterdelegierten beschließt, in Petersburg auf revolutionärem Wege den Achtstundentag durchzusetzen. Das heißt: An einem bestimmten Tage erklären sämtliche Arbeiter Petersburgs ihren Unternehmern, daß sie nicht gewillt sind, länger als acht Stunden täglich zu arbeiten, und verlassen zur entsprechenden Stunde die Arbeitsräume. Die Idee gibt Anlaß zu einer lebhaften Agitation, wird vom Proletariat mit Begeisterung aufgenommen und ausgeführt, wobei die größten Opfer nicht gescheut werden. So bedeutete zum Beispiel der Achtstundentag für die Textilarbeiter, die bis dahin elf Stunden, und zwar bei Akkordlöhnen arbeiteten, einen enormen Lohnausfall,

Nächste Seite »



[1] Am 27. Juni 1905 war auf dem russischen Panzerkreuzer „Potemkin“ ein Matrosenaufstand ausgebrochen, der die erste revolutionäre Massenaktion in der zaristischen Armee und Flotte darstellte.

[2] Am 8. und 9. November 1905 hatten sich in Kronstadt Matrosen und Soldaten erhoben. Der Aufstand wurde niedergeschlagen und 1 500 Matrosen sowie einige hundert Soldaten von einem Militärgericht zum Tode verurteilt. Ein Solidaritätsstreik der Petersburger Arbeiter rettete die Verurteilten vor dem Erschießen.

[3] In Libau brach am 15. Juli 1905 ein Matrosenaufstand aus. Da er unorganisiert war und keine Unterstützung erhielt, erlitt er eine Niederlage.

[4] Am 12. und 13. November 1905 war in Wladiwostok ein Matrosenaufstand ausgebrochen, der von der zaristischen Truppenführung niedergeschlagen wurde.