eine geheime Versammlung einberufen. Mehr als 100 Schuhmacher kamen zusammen; es wurde ein Referat über die Bedeutung der Gewerkschaften, über ihre Geschichte in Westeuropa und ihre Aufgaben in Rußland gehalten. Darauf ward beschlossen, eine Gewerkschaft zu gründen; 12 Mann wurden in eine Kommission gewählt, die das Statut ausarbeiten und eine allgemeine Schuhmacherversammlung einberufen sollte. Das Statut wurde ausgearbeitet, aber es gelang vorläufig weder es zu drucken noch eine allgemeine Versammlung einzuberufen.“
Das waren die ersten schweren Anfänge. Dann kamen die Oktobertage, der zweite allgemeine Generalstreik, das Zarenmanifest des 30. Oktober[1] und die kurze „Verfassungsperiode“[2]. Mit Feuereifer stürzen sich die Arbeiter in die Wogen der politischen Freiheit, um sie sofort zum Organisationswerk zu benutzen. Neben tagtäglichen politischen Versammlungen, Debatten, Vereinsgründungen wird sofort der Ausbau der Gewerkschaften in Angriff genommen. Im Oktober und November entstehen in Petersburg vierzig neue Gewerkschaften. Alsbald wird ein „Zentralbüro“, d. h. ein Gewerkschaftskartell, gegründet, es erscheinen verschiedene Gewerkschaftsblätter und seit dem November auch ein Zentralorgan, „Die Gewerkschaft“. Das, was im obigen über Petersburg berichtet wurde, trifft im großen und ganzen auf Moskau und Odessa, Kiew und Nikolajew, Saratow und Woronesh, Samara und Nishni Nowgorod, auf alle größeren Städte Rußlands und in noch höherem Grade auf Polen zu. Die Gewerkschaften einzelner Städte suchen Fühlung miteinander, es werden Konferenzen abgehalten. Das Ende der „Verfassungsperiode“ und die Umkehr zur Reaktion im Dezember 1905 macht zeitweilig auch ein Ende der offenen, breiten Tätigkeit der Gewerkschaften, bläst ihnen aber das Lebenslicht nicht aus. Sie wirken weiter im geheimen als Organisation und führen gleichzeitig ganz offen Lohnkämpfe. Es bildet sich ein eigenartiges Gemisch eines gesetzlichen und ungesetzlichen Zustandes des Gewerkschaftslebens aus, entsprechend der widerspruchsvollen revolutionären Situation. Aber mitten im Kampf wird das Organisationswerk mit aller Gründlichkeit, ja mit Pedanterie weiter ausgebaut. Die Gewerkschaften der Sozialdemokratie Polens und Litauens z. B., die auf dem letzten Parteitag (im Juni 1906)[3] durch fünf Delegierte von 10 000 zahlenden Mitgliedern vertreten waren, sind mit ordentlichen Statuten, gedruckten
[1] Die zaristische Regierung sah sich angesichts des politischen Generalstreiks in Rußland gezwungen, konstitutionelle Zugeständnisse zu machen. Im Manifest vom 30. Oktober 1905 wurden bürgerliche Preiheiten gewährt, der Kreis der Wahlberechtigten für die Duma erweitert und der Duma die legislative Gewalt gegeben.
[2] Gemeint ist die Zeit von Anfang 1906 bis Juli 1906. Siehe dazu Rosa Luxemburg: Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. In: GW, Bd. 2, S. 123 f.
[3] Der fünfte Parteitag der Sozialdemokratie des Königreichs Polen und Litauens fand im Juni 1906 illegal in Zakopane statt.