Lohnaufbesserung, Abschaffung der Strafen, Entlassung unbeliebter Ingenieure usw. Sämtliche Eisenbahnwerkstätten traten in den Ausstand. Ihnen schlossen sich alsbald alle anderen Berufe an, und plötzlich herrschte in Rostow ein nie dagewesener Zustand: Jede gewerbliche Arbeit ruht, dafür werden Tag für Tag Monster-Meetings von 15 000 bis 20 000 Arbeitern im Freien abgehalten, manchmal umzingelt von einem Kordon Kosaken, wobei zum ersten Male sozialdemokratische Volksredner offen auftreten, zündende Reden über Sozialismus und politische Freiheit gehalten und mit ungeheurer Begeisterung aufgenommen, revolutionäre Aufrufe in Zehntausenden von Exemplaren verbreitet werden. Mitten in dem starren absolutistischen Rußland erobert das Proletariat Rostows zum ersten Male sein Versammlungsrecht, seine Redefreiheit im Sturm. Freilich geht es auch hier nicht ohne ein Massaker ab. Die Lohndifferenzen der Wladikaukasischen Eisenbahnwerkstätten haben sich in wenigen Tagen zu einem politischen Generalstreik und zu einer revolutionären Straßenschlacht ausgewachsen. Als Nachklang erfolgte sofort noch ein Generalstreik auf der Station Tichorezk derselben Eisenbahnlinie. Auch hier kam es zu einem Massaker, ferner zu einem Prozeß, und auch Tichorezk hat sich als Episode gleichfalls in die unzertrennliche Kette der Revolutionsmomente eingeflochten.
Der Frühling 1903 gibt die Antwort auf die niedergeschlagenen Streiks in Rostow und Tichorezk: Der ganze Süden Rußlands steht im Mai, Juni und Juli in Flammen. Baku, Tiflis, Batum, Jelisawetgrad, Odessa, Kiew, Nikolajew, Jekaterinoslaw stehen im Generalstreik im buchstäblichen Sinne. Aber auch hier entsteht die Bewegung nicht nach irgendeinem vorgefaßten Plan aus einem Zentrum, sie fließt zusammen aus einzelnen Punkten, in jedem aus anderen Anlässen, in anderen Formen. Den Anfang macht Baku, wo mehrere partielle Lohnkämpfe einzelner Fabriken und Branchen endlich in einen Generalstreik ausmünden. In Tiflis beginnen den Streik 2 000 Handelsangestellte, die eine Arbeitszeit von 6 Uhr morgens bis 11 Uhr abends hatten; sie verlassen alle am 4. Juli um 8 Uhr abends die Läden und machen einen Umzug durch die Stadt, um die Ladeninhaber zur Schließung der Geschäfte aufzufordern. Der Sieg ist ein vollständiger: Die Handelsangestellten erringen eine Arbeitszeit von 8 bis 8, und ihnen schließen sich sofort alle Fabriken, Werkstätten, Büros an. Die Zeitungen erscheinen nicht, der Trambahnverkehr kann nur unter dem Schutze des Militärs stattfinden. – In Jelisawetgrad beginnt am 10. Juli in allen Fabriken der Streik mit rein ökonomischen Forderungen. Sie werden meistens bewilligt, und am 14. Juli hört der Streik auf. Allein