Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 742

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usw„ Milchprodukte, Obst und Gemüse lassen sich überhaupt schlecht aufbewahren. Der Verbrauch in der Sklavenwirtschaft wie in der Fronwirtschaft hatte also bei üppigstem Leben seine natürlichen Grenzen, und damit hatte auch die normale Ausbeutung des Sklaven und des Bauern ihre Schranken. Anders bei dem modernen Unternehmer, der die Arbeitskraft zur Warenproduktion kauft. Das, was der Arbeiter in der Fabrik oder auf dem Werk meistens produziert, ist für ihn selbst ganz unnütz, aber ebenso unnütz für den Unternehmer. Dieser läßt die gekaufte Arbeitskraft nicht für sich Kleider und Nahrung bereiten, sondern läßt sie irgendeine Ware herstellen, die er selbst gar nicht braucht. Er läßt die Seidenstoffe oder Röhren oder Särge nur produzieren, um sie so schnell wie möglich wieder loszuwerden, zu verkaufen. Er läßt sie produzieren, um durch ihren Verkauf Geld zu kriegen. Und er erhält sowohl seine Auslagen zurückerstattet wie die geschenkte Mehrarbeit seiner Arbeiter in Geldform. Zu diesem Zweck, um die unbezahlte Arbeit der Arbeiter in Geld zu schlagen, macht er ja das ganze Geschäft und kauft die Arbeitskraft. Das Geld ist aber, wie wir wissen, das Mittel der unbegrenzten Aufhäufung des Reichtums. In Geldform verliert der Reichtum durch das längste Lagern nichts an Wert, im Gegenteil, wie wir später sehen werden, scheint der Reichtum in Geldform durch das bloße Lagern sogar zu wachsen. Und in Geldform kennt der Reichtum gar keine Grenzen, er kann wachsen ins unendliche. Dementsprechend hat auch der Hunger des modernen Kapitalisten nach Mehrarbeit keine Grenzen. Je mehr unbezahlte Arbeit aus den Arbeitern herausgeschlagen wird, um so besser. Mehrwert auspressen, und zwar schrankenlos auspressen – das ist der eigentliche Zweck und die Aufgabe des Kaufs der Arbeitskraft.

Der natürliche Trieb des Kapitalisten zur Vergrößerung des den Arbeitern abgepreßten Mehrwerts findet vor allem zwei einfache Wege, die sich sozusagen von selbst bieten, wenn wir die Zusammensetzung des Arbeitstages betrachten. Wir sahen, daß der Arbeitstag jedes Lohnarbeiters normalerweise aus zwei Teilen besteht: aus dem Teil, wo der Arbeiter seinen eigenen Lohn zurückerstattet, und aus dem anderen, wo er unbezahlte Arbeit, Mehrwert liefert. Um also den zweiten Teil möglichst zu vergrößern, kann der Unternehmer nach zwei Seiten vorgehen: entweder den ganzen Arbeitstag verlängern oder den ersten, bezahlten Teil des Arbeitstages verkürzen, das heißt den Lohn des Arbeiters herabdrücken. Tatsächlich greift der Kapitalist gleichzeitig zu beiden Methoden, und daher ergibt sich bei dem System der Lohnarbeit eine ständige Doppeltendenz: sowohl zur Verlängerung der Arbeitszeit als zur Verkürzung der Löhne.

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