Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 643

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Wer an das Studium der Wirtschaftsgeschichte herantritt, wer die verschiedenen Formen kennenlernen will, in denen sich die ökonomischen Verhältnisse der Gesellschaft in ihrer historischen Entwicklung dargestellt haben, muß sich vor allem darüber klarwerden, welches Merkmal der ökonomischen Verhältnisse er zum Prüfstein und zum Maßstab dieser Entwicklung nehmen soll. Um sich in der Fülle der Erscheinungen auf einem bestimmten Gebiete zurechtzufinden und namentlich um ihre historische Reihenfolge aufzufinden, muß man volle Klarheit über dasjenige Moment erlangen, das gewissermaßen die innere Achse ist, um die sich die Erscheinungen drehen. Morgan hat zum Beispiel als Maßstab der Kulturgeschichte und Prüfstein ihrer jeweiligen Höhe ein ganz bestimmtes Moment: die Entwicklung der Produktionstechnik, genommen. Er hat damit in der Tat das gesamte Kulturdasein der Menschheit sozusagen an der Wurzel gepackt, ihre Wurzel bloßgelegt. Für unsere Zwecke, für die Wirtschaftsgeschichte, genügt der Morgansche Maßstab nicht. Die Technik der gesellschaftlichen Arbeit zeigt genau die jeweilig erreichte Stufe in der Beherrschung der äußeren Natur durch die Menschen. Jeder neue Schritt in der Vervollkommnung der Produktionstechnik ist zugleich ein Schritt in der Unterjochung der physischen Natur durch den menschlichen Geist und deshalb ein. Schritt in der Entwicklung der allgemeinen menschlichen Kultur. Wollen wir jedoch speziell die Formen der Produktion in der Gesellschaft untersuchen, dann genügt uns das Verhältnis der Menschen zur Natur nicht, uns interessiert dann in erster Linie eine andere Seite der menschlichen Arbeit: die Verhältnisse, in denen die Menschen bei der Arbeit zueinander stehen, das heißt, uns interessiert nicht die Technik der Produktion, sondern ihre gesellschaftliche Organisation. Es ist für die Kulturstufe eines primitiven Volkes sehr bezeichnend, wenn wir wissen, daß dieses Volk die Töpferscheibe kennt und Töpferei betreibt. Morgan nimmt diesen bedeutenden Fortschritt in der Technik zum Markstein einer ganzen Kulturperiode, die er als den Übergang von der Wildheit zur Barbarei bezeichnet. Über die Produktionsform dieses Volkes können wir auf Grund der angeführten Tatsache noch sehr wenig urteilen. Dazu müßten wir erst eine ganze Reihe von Umständen erfahren, wie zum Beispiel, wer in der Gesellschaft die Töpferkunst betreibt, ob alle Mitglieder der Gesellschaft oder aber nur ein Teil, etwa ein Geschlecht, die Frauen, die Gemeinschaft mit Töpfen versorgt, ob die hergestellten Produkte der Töpferkunst nur für den eigenen Gebrauch der Gemeinschaft, etwa des Dorfes,

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