Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 708

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der. In derselben Lage sind aber neben unserem Schuster alle anderen Warenproduzenten. Und es gibt ja niemanden in der Gesellschaft als Warenproduzenten, denn nur im Tausch erlangt man Mittel zum Leben; um solche zu bekommen, muß also jeder mit Waren erscheinen. Das Warenproduzieren ist Lebensbedingung, und so ergibt sich ein Gesellschaftszustand, bei dem alle Menschen ihr Einzeldasein führen als ganz losgelöste Individuen, die füreinander nicht existieren und die nur durch ihre Waren fortwährend abwechselnd Anschluß an die Gesamtheit bekommen oder aus diesem Anschluß wieder ausgeschaltet werden. Es ist dies eine höchst lockere und bewegliche, im unaufhörlichen Wirbel ihrer Einzelglieder begriffene Gesellschaft.

Wir sehen, die Abschaffung der planmäßigen Wirtschaft und die Einführung des Austausches hat eine ganze Umwälzung in den gesellschaftlichen Verhältnissen der Menschen herbeigeführt, sie hat die Gesellschaft an Kopf und Gliedern umgewandelt.

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Der Austausch als einziges wirtschaftliches Bindeglied zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft hat aber seine großen Schwierigkeiten und läuft nicht ohne weiteres so glatt ab, wie wir es bisher vorausgesetzt haben. Sehen wir uns die Sache näher an.

Solange wir nur den Tausch zwischen unseren zwei einzelnen Produzenten betrachteten, den Tausch zwischen dem Schuster und dem Bäcker, war die Sache ganz einfach. Der Schuster kann nicht von Stiefeln allein leben und braucht Brot; der Bäcker kann, wie schon die Heilige Schrift sagt, nicht von Brot allein leben und braucht zwar nicht das Wort Gottes im gegebenen Fall, aber Stiefel. Da hier völlige Gegenseitigkeit vorliegt, kommt der Tausch glatt zustande: Das Brot wandert aus der Hand des Bäckers, der es nicht braucht, in die Hand des Schusters; die Stiefel wandern aus der Schusterwerkstatt in den Bäckerladen. Die beiden sind befriedigt in ihren Bedürfnissen, und beide Privatarbeiten haben sich als gesellschaftlich notwendige bewährt. Aber wir nehmen ja an, dasselbe passierte nicht nut'zwischen dem Schuster und Bäcker, sondern zwischen allen Mitgliedern der Gesellschaft, das heißt zwischen allen Warenproduzenten auf einmal. Und wir haben das Recht, dies anzunehmen, ja wir sind sogar genötigt, diese Annahme zu machen. Denn alle Mitglieder der Gesellschaft müssen ja leben, müssen verschiedenartige Bedürfnisse befriedigen. Die

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