Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 707

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zelnen Mitgliedern, die nach dieser Katastrophe am anderen Morgen zunächst ganz hoffnungslos aussah, allmählich wieder einen gewissen Zusammenhang, eine gewisse Ordnung erstehen lassen, und zwar auf eine ganz mechanische Weise. Ohne irgendeine Verständigung unter den einzelnen Mitgliedern, ohne Einmischung irgendeiner höheren Macht fügten sich nun schlecht oder recht die einzelnen Splitter zum Ganzen. Der Austausch selbst reguliert nun in mechanischer Weise, gleichsam wie eine Art Pumpwerk, die ganze Wirtschaft: Er schafft zwischen den einzelnen Produzenten ein Band, er zwingt sie zur Arbeit, er regelt ihre Arbeitsteilung, er bestimmt ihren Reichtum und die Verteilung dieses Reichtums. Der Austausch regiert die Gesellschaft. Es ist freilich eine etwas seltsame Ordnung, die jetzt vor unseren Augen erstanden ist. Die Gesellschaft sieht jetzt völlig anders aus als früher unter dem Regime der kommunistischen Gemeinde. Damals war sie ein kompaktes Ganzes, eine Art großer Familie, deren Glieder alle miteinander verwachsen waren und zäh zusammenhielten, ein fester Organismus, ja sogar ein verknöcherter, ziemlich unbeweglicher und starrer Organismus. Jetzt ist das ein äußerst lockeres Gebilde, in dem die Einzelglieder aller Augenblicke auseinanderfallen und sich wieder zusammenschließen. In der Tat, wir haben gesehen, daß unserem Schuster niemand sagt, daß er arbeiten, was er arbeiten, wieviel er arbeiten soll. Niemand fragt andererseits auch, ob er Lebensmittel braucht, welche er braucht, wieviel er braucht. Niemand kümmert sich um ihn, er existiert für die Gesellschaft nicht. Er meldet der Gesellschaft seine Existenz dadurch, daß er auf dem Warenmarkt mit einem Produkt seiner Arbeit erscheint. Seine Existenz wird akzeptiert, wenn seine Ware akzeptiert wird. Seine Arbeit wird für gesellschaftlich notwendig, er also als ihr arbeitendes Glied anerkannt, nur, insofern seine Stiefel in Tausch genommen werden. Er kriegt Lebensmittel aus dem gesellschaftlichen Reichtum nur, insofern seine Stiefel als Ware angenommen werden. Als Privatperson ist er also kein Gesellschaftsmitglied, ebenso seine Arbeit als Privatarbeit noch keine gesellschaftliche. Er wird erst Gesellschaftsmitglied nur, insofern er austauschbare Produkte, Waren, anfertigt, und nur, solange er solche hat und veräußern kann. Jedes ausgetauschte Paar Stiefel macht ihn zum Gesellschaftsmitglied, und jedes unverkäufliche Paar Stiefel schließt ihn wieder aus der Gesellschaft aus. Der Schuster hat also als solcher, als Mensch, keine Verbindung mit der Gesellschaft, seine Stiefel erst geben ihm Anschluß an die Gesellschaft, und dies nur, sofern sie Tauschwert haben, als Ware verkäuflich sind. Das ist also kein ständiger Anschluß, sondern ein immer erneuerter und immer wieder sich auflösen-

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