Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 155

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genügen, daß der Smithsche Irrtum in bezug auf die Reproduktion des Gesamtkapitals nicht etwa eine spezielle Schwäche in der Position Sismondis darstellte, sondern vielmehr den gemeinsamen Boden, auf dem die erste Kontroverse um das Problem der Akkumulation ausgefochten wurde. Daraus folgt nur, daß die bürgerliche Ökonomie sich an das verwickelte Problem der Akkumulation heranwagte, ohne mit dem elementaren Problem der einfachen Reproduktion fertig geworden zu sein, wie denn die wissenschaftliche Forschung nicht bloß auf diesem Gebiete in seltsamen Zickzacklinien schreitet und häufig gleichsam die obersten Stockwerke des Gebäudes in Angriff nimmt, bevor das Fundament noch zu Ende ausgeführt ist. Es zeugt jedenfalls dafür, eine wie harte Nuß Sismondi mit seiner Kritik der Akkumulation der bürgerlichen Ökonomie zum Knacken aufgegeben hat, wenn sie trotz all der durchsichtigen Schwächen und Unbeholfenheiten seiner Deduktion mit ihm doch nicht fertig zu werden vermochte.

Elftes Kapitel. MacCulloch gegen Sismondi

Die Sismondischen Kassandrarufe gegen die rücksichtslose Ausbreitung der Kapitalsherrschaft in Europa riefen gegen ihn von drei Seiten eine scharfe Opposition auf den Plan: in England die Schule Ricardos, in Frankreich den, Verflacher Smith’, J. B. Say, und die St-Simonisten. Während die Gedankengänge Owens in England, der den Nachdruck auf die Schattenseiten des Industriesystems und namentlich die Krise legte, sich vielfach mit denen Sismondis begegnen, fühlte sich die Schule des anderen großen Utopisten, St-Simons, die den Nachdruck auf den weltumspannenden Gedanken der großindustriellen Expansion, auf die schrankenlose Entfaltung der Produktivkräfte der menschlichen Arbeit legte, durch den Angstruf Sismondis lebhaft beunruhigt. Uns interessiert hier aber die vom theoretischen Standpunkt fruchtbarere Kontroverse zwischen Sismondi und den Ricardianern. Im Namen letzterer richtete zuerst MacCulloch im Oktober 1819, also gleich nach Erscheinen der „Nouveaux principes“, in der „Edinburgh Review“ eine anonyme Polemik gegen Sismondi, die, wie man sagte, von Ricardo selbst gebilligt wurde.[1] Auf diese Polemik

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[1] Der Artikel in der „Edinburgh Review“ war eigentlich gegen Owen gerichtet. Auf 24 Druckseiten zieht er scharf gegen die vier Schriften zu Felde: A New View of Society, or Essays on the Principle Formation of the Human Character; Observations on the Effect of the Manufacturing System; Two Memorials on Behalf of the Working Classes, presented to the Governments of America and Europe; endlich Three Tracts, and an Account of Public Proceedings relative to the Employment of the Poor. Der Anonymus sucht Owen haarklein nachzuweisen, daß seine Reformideen nicht im geringsten auf die wirklichen Ursachen der Misere des englischen Proletariats zurückgreifen, denn diese wirklichen Ursachen seien: der Übergang zur Bebauung unfruchtbarer Ländereien (die Ricardosche Grundrententheorie!), die Kornzölle und die hohen Steuern, die den Pächter wie den Fabrikanten bedrücken. Also Freihandel und laissez faire – das ist Alpha und Omega! Bei ungehinderter Akkumulation wird jeder Zuwachs der Produktion für sich selbst einen Zuwachs der Nachfrage schaffen. Hier wird Owen unter Hinweisen auf Say und James Mill einer „völligen Ignoranz“ geziehen: „In his reasonings, as well as in his plans, Mr. Owen shows himself profoundly ignorant of all the laws which regulate the production and distribution of wealth." Und von Owen kommt der Verfasser auch auf Sismondi, wobei er die Kontroverse selbst wie folgt formuliert: „He (Owen) conceives that when competition is unchecked by any artificial regulations, and industry permitted to flow in its natural channels, the use of machinery may increase the supply of the several articles of wealth beyond the demand for them, and by creating an excess of all commodities, throw the working classes out of employment. This is the position which we hold to be fundamentally erroneous; and as it is strongly insisted on by the celebrated Mr. de Sismondi in his ‘Nouveaux principes d'économie politique’, we must entreat the indulgence of our readers while we endeavour to point out its fallacy, and to demonstrate, that the power of consuming necessarily increases with every increase in the power of producing.“ (Edinburgh Review, Oktober 1819, S. 470.) – [Fußnote im Original]