Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 166

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deren Beförderung eine leichtere ist.“ Was war nun der Rat MacCullochs angesichts dieser Agrarkrise in Südeuropa? Die Hälfte der neuen Landwirte sollten Fabrikanten werden! Darauf sagt Sismondi: „Diesen Rat kann man ernsthaft nur den Tataren in der Krim oder den ägyptischen Fellachen geben“ – und er fügt hinzu: „Noch ist der Augenblick nicht gekommen, um neue Fabriken in überseeischen Gegenden oder in Neuholland einzurichten.“ Man sieht, Sismondi erkannte mit klarem Blick, daß die Industrialisierung der überseeischen Gebiete nur eine Frage der Zeit war. Daß aber auch die Ausdehnung des Weltmarktes nicht eine Lösung der Schwierigkeit, sondern bloß ihre Reproduktion in höherer Potenz, noch gewaltigere Krisen bringen muß, auch dessen war sich Sismondi wohl bewußt. Er stellte im voraus als die Kehrseite der Expansionstendenz des Kapitalismus fest: eine noch größere Verschärfung der Konkurrenz, eine noch größere Anarchie der Produktion. Ja, er legt sogar den Finger auf die Grundursache der Krisen, indem er die Tendenz der kapitalistischen Produktion, über jede Marktschranke hinauszueilen, an einer Stelle scharf formuliert: „Man hat häufig angekündigt“, sagt er zum Schluß seiner Replik gegen MacCulloch, „daß das Gleichgewicht sich wieder herstellen und die Arbeit wieder beginnen würde, aber eine einzige Nachfrage entwickelte jedesmal eine Bewegung, die über die wirklichen Bedürfnisse des Handels weit hinausging, und dieser neuen Tätigkeit folgte bald eine noch peinvollere Einschnürung.“

Solchen tiefen Griffen der Sismondischen Analyse in die wirklichen Widersprüche der Kapitalbewegung hat der Vulgarus auf dem Londoner Katheder mit seinem Harmoniegeschwätz und seinem Kontertanz zwischen den tausend bebänderten Pächtern und den tausend weinseligen Fabrikanten nichts zu erwidern gehabt.

Zwölftes Kapitel. Ricardo gegen Sismondi

Für Ricardo war offenbar mit MacCullochs Erwiderung auf Sismondis theoretische Einwände die Sache nicht erledigt. Im Unterschied von dem geschäftstreibenden „schottischen Erzhumbug“, wie ihn Marx nennt, suchte Ricardo nach Wahrheit und bewahrte sich die echte Bescheidenheit eines großen Denkers.[1] Daß Sismondis Polemik gegen ihn selbst wie gegen sei-

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[1] Es ist bezeichnend, daß, als Ricardo 1819 ins Parlament gewählt worden war, er, der damals schon das größte Ansehen wegen seiner ökonomischen Schriften genoß, an einen Freund schrieb: „Sie werden wissen, daß ich im Hause der Gemeinen sitze. Ich fürchte, daß ich da nicht viel nützen werde. Ich habe es zweimal versucht zu sprechen, aber ich sprach mit größter Beklommenheit, und ich verzweifle daran, ob ich je die Angst überwinden werde, die mich befällt, wenn ich den Ton meiner Stimme höre.“ Dergleichen „Beklommenheiten“ waren dem Schwätzer Culloch völlig unbekannt. – [Fußnote im Original]