Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 770

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VII Die Tendenzen der kapitalistischen Wirtschaft

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Wir haben gesehen, wie nach der stufenweisen Auflösung aller Gesellschaftsformen mit bestimmter planmäßiger Organisation der Produktion – der urkommunistischen Gesellschaft, der Sklavenwirtschaft, der mittelalterlichen Fronwirtschaft – die Warenproduktion entstanden ist. Wir haben ferner gesehen, wie aus der einfachen Warenwirtschaft, das heißt aus der handwerksmäßigen städtischen Produktion am Ausgang des Mittelalters, ganz mechanisch, das heißt ohne Willen und Bewußtsein der Menschen, die heutige kapitalistische Wirtschaft herausgewachsen ist. Im Anfang haben wir die Frage gestellt: Wie ist die kapitalistische Wirtschaft möglich? Dies ist ja auch die Grundfrage der Nationalökonomie als Wissenschaft. Nun, die Wissenschaft gibt uns darauf ausreichende Antwort. Sie zeigt uns, daß die kapitalistische Wirtschaft, die angesichts ihrer völligen Planlosigkeit, angesichts des Fehlens jeder bewußten Organisation auf den ersten Blick ein Ding der Unmöglichkeit, ein unentwirrbares Rätsel ist, sich trotzdem zu einem Ganzen fügt und existieren kann. Und zwar:

durch den Warenaustausch und die Geldwirtschaft, womit sie alle Einzelproduzenten wie die entlegensten Gebiete der Erde miteinander wirtschaftlich verbindet und so die Arbeitsteilung in der ganzen Welt durchsetzt;

durch die freie Konkurrenz, die den technischen Fortschritt sichert und zugleich die kleinen Produzenten beständig in Proletarier verwandelt, womit dem Kapital die käufliche Arbeitskraft zugeführt wird;

durch das kapitalistische Lohngesetz, das einerseits mechanisch dafür sorgt, daß die Lohnarbeiter sich nie aus dem Proletarierstand erheben und der Arbeit unter dem Kommando des Kapitals entrinnen, andererseits eine immer größere Anhäufung der unbezahlten Arbeit zu Kapital und damit immer größere Ansammlung und Ausdehnung der Produktionsmittel ermöglicht;

durch die industrielle Reservearmee, die der kapitalistischen Produktion jede Ausdehnungs- und Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse der Gesellschaft gestattet;

durch die Ausgleichung der Profitrate, die die ständige Bewegung des Kapitals aus einem Produktionszweig in einen anderen bedingt und so das Gleichgewicht der Arbeitsteilung reguliert; endlich

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