Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 5, 4. Auflage, Dietz Verlag Berlin 1990, S. 747

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trat. Auf dem Markt trat er als Besitzer der Ware ,Arbeitskraft‘ andren Warenbesitzern gegenüber, Warenbesitzer dem Warenbesitzer. Der Kontrakt, wodurch er dem Kapitalisten seine Arbeitskraft verkaufte, bewies sozusagen schwarz auf weiß, daß er frei über sich selbst verfügt. Nach geschlossenem Handel wird entdeckt, daß er ,kein freier Agent‘ war, daß die Zeit, wofür es ihm freisteht, seine Arbeitskraft zu verkaufen, die Zeit ist, wofür er gezwungen ist, sie zu verkaufen, daß in der Tat sein Sauger nicht losläßt, ,solange noch ein Muskel, eine Sehne, ein Tropfen Bluts auszubeuten‘. Zum ,Schutz‘ gegen die Schlange ihrer Qualen müssen die Arbeiter ihre Köpfe zusammenrotten und als Klasse ein Staatsgesetz erzwingen, ein übermächtiges gesellschaftliches Hindernis, das sie selbst verhindert, durch freiwilligen Kontrakt mit dem Kapital sich und ihr Geschlecht in Tod und Sklaverei zu verkauf en.“[1] [Hervorhebungen – R. L.]

Die Arbeiterschutzgesetze sind in der Tat das erste offizielle Bekenntnis der heutigen Gesellschaft, daß die formelle Gleichheit und Freiheit, die der Warenproduktion und dem Warenaustausch zugrunde liegt, bereits in die Brüche geht, in Ungleichheit und Unfreiheit umschlägt, seit die Arbeitskraft als Ware auf dem Markte erscheint.

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Die zweite Methode des Kapitalisten, den Mehrwert zu vergrößern, ist die Herabdrückung des Arbeitslohns. Auch der Lohn ist, wie der Arbeitstag, an sich an keine bestimmten Grenzen gebunden. Vor allem, wenn wir vom Arbeitslohn sprechen, so ist zu unterscheiden das Geld, das der Arbeiter vom Unternehmer erhält, von der Menge Lebensmittel, die er dafür kriegt. Wissen wir vom Lohn eines Arbeiters nur, daß er zum Beispiel 2 M täglich beträgt, so wissen wir soviel wie gar nichts. Denn für dieselben 2 M kann man in Zeiten der Teuerung viel weniger Lebensmittel kaufen als in Zeiten der Billigkeit; in einem Lande bedeutet dasselbe Zweimarkstück eine andere Lebenshaltung als im anderen, ja fast in jeder Gegend eines Landes. Der Arbeiter kann auch mehr Geld als früher als Lohn bekommen und gleichwohl nicht besser, sondern ebensoschlecht oder gar noch schlechter leben als früher. Der wirkliche, reelle Lohn ist also die Summe Lebensmittel, die der Arbeiter kriegt, während Geldlohn nur der nominelle Lohn ist. Ist also der Lohn nur der Geldaus-

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[1] Karl Marx: Das Kapital, Erster Band. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 23, S. 319 f.